Von Marcus Erberich
Die Röstkessel im Kaffee-Stand auf dem Wochenmarkt zischen und dampfen. Marcel Philipp steht an einem Bistrotisch, die Hände liegen links und rechts neben einer Tasse Latte Macchiato. Normalerweise trinkt er hier nur schnell einen Espresso; heute, an diesem kühlen Frühlingsmorgen, nimmt er sich mehr Zeit.
Er selbst hat den Ort für das Treffen ausgesucht. Es ist die perfekte Kulisse: Der Oberbürgermeister der Stadt Aachen steht auf dem Markt, im Rücken das Rathaus, nebenan der „Eäzekomp“ mit der Statue Karls des Großen.
Wegen seiner Länge überragt Marcel Philipp die meisten anderen Besucher des Wochenmarktes. Immer wieder dreht sich jemand nach ihm um, andere zeigen mit dem Finger auf ihn. Sie kennen ihn. Auch, weil kaum ein Tag vergeht, an dem er nicht in den Tageszeitungen zu sehen ist. Der Runde Tisch gegen Rechtsextremismus, eine Debatte zum Thema Clubsterben, Avantis retten, Stadt sauber halten. Viel Pflicht, manchmal dramatisch wichtig, manchmal nur ein Fototermin – aber Marcel Philipp ist erster Aachener und deshalb ständig im Fokus.
Warum eigentlich Politik, Herr Philipp? Kurzes Zögern. „Es ist mir in die Wiege gelegt worden“, sagt er schließlich: „Da mein Vater immer Kommunalpolitik gemacht hat, war es für mich normal, dass man sich engagiert.“ Sein Vater, Dieter Philipp, amtierender Präsident der Handwerkskammer Aachen und ehemaliger Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks, war und ist ähnlich öffentlich wie Marcel: „Mein Vater war abends zwar oft nicht da, hatte dafür aber immer spannende Geschichten zu erzählen. Dinge, die am nächsten Tag in der Zeitung standen, wusste ich meistens schon vorher.“
Heute ist er es, der abends oft nicht zu Hause ist. Zeit für seinen sechsjährigen Sohn und seine zehnjährige Tochter hat er vor allem am Morgen. Dann ist er weniger Oberbürgermeister, sondern schmiert seinen Kindern die Schulbrote – ein festes Ritual. Davon abgesehen bleibt ihm für seine Kinder wenig Zeit – zu eng sind seine Tage getaktet, auch an den Wochenenden. „Ich habe gewusst, worauf ich mich einlasse“, sagt er: „Ich bin da nicht blauäugig rein gegangen.“
Ergebnisse einer Amtszeit
Marcel Philipp überlässt Dinge nicht gerne dem Zufall. Er antwortet mit Bedacht, jeder seiner Sätze wirkt ausgerollt wie ein Teppich, akkurat, sitzt auf den Zentimeter. Für Markiges ist er nicht der Typ. Welche ist die größte politische Ungerechtigkeit in Aachen? „Ich bin davon überzeugt, dass unsere Demokratie die wesentlichen Ungerechtigkeiten ausgleichen kann.“ Und die größte Lüge? „Die Wahrnehmung der Möglichkeiten, sich aktiv in die Kommunalpolitik einzubringen.“ Die Niederlage mit der Campusbahn? „Mehrheitsentscheidungen muss man immer in der Zeit beurteilen, in der sie getroffen wurden.“ War der Bau des neuen Tivoli ein Fehler? „Im Nachhinein und in der Form: sicherlich!“ Nehmen Sie Björn Jansen als Gegner bei der Kommunalwahl überhaupt ernst? „Ja! Das Ernstnehmen des Gesprächspartners ist ein Grundprinzip, das ich nie verlasse.“ Wie poliert, gut fürs Diktiergerät.
Mit welchen Entwicklungen verbinden die Aachener den Namen Marcel Philipp? Mit dem Bau des Campus Melaten zum Beispiel, den er trotz anfänglicher Proteste von Umweltschützern maßgeblich voran getrieben hat, und von dem er sich bis zu 10.000 neue Arbeitsplätze erhofft. Mit der umstrittenen Shopping-Baustelle „Aquis Plaza“, die nun endlich Fortschritte macht. „Dass die Kaiserplatzgalerie jetzt entsteht, ist die Arbeit einer Handvoll Leute. Diese Brache darf nicht weiter existieren, sondern wir müssen das Projekt jetzt zu Ende bringen.“ Und nicht zuletzt auch mit dem Kraftakt, den Alemannia-Karren aus dem Dreck zu ziehen. Im Rahmen des Insolvenzverfahrens haben Marcel Philipp und die Stadt Aachen kräftig mit angepackt – auch, wenn Kritiker sagen, die Verwaltung habe sich vom Verein auf der Nase herum tanzen lassen. „Da war solide Arbeit gefragt – und die haben wir geliefert“, sagt Philipp.
Welcher war der größte politische Erfolg Ihrer Amtszeit? „Die Themen, die ich im Rahmen der Kandidatur genannt habe: Wirtschaftliche Entwicklung und Finanzkraft der Stadt stärken, Familienpolitik in den Vordergrund rücken, mich um die Lebensqualität im Kleinen kümmern. Diese Themen sind mit großem Aufwand und einer sichtbaren Wirkung bearbeitet worden.“ Und der größte Misserfolg? „Kaiserplatz, Drogenszene. Wir haben zu wenig Zeit da rein gesteckt und uns darauf verlassen, dass Dinge, die wir angestoßen haben, zum Erfolg führen. Es ist ein Frust-Erlebnis, dass das so nicht funktioniert hat.“
Drei Botschaften, mehr nicht
Das Wahlprogramm auf einem Bierdeckel, spontan. Kurze Denkpause. Dann schreibt er auf: Lebensqualität sichern, Arbeitsplätze schaffen, Familien stärken – sechs Worte, drei Botschaften, fertig. Er legt den Kugelschreiber ab, faltet die Hände. „Ein Gemälde kriege ich daraus aber nicht gemacht…“ Keine Pfeile, Skizzen, Kreise, Dreiecke? Marcel Philipp will nicht scribbeln. „Das soll genau so mit den drei Begriffen da stehen bleiben. Botschaften müssen immer so sein, dass man sie nach dem zweiten Hören eingeprägt hat.“
Wahlkampf im Tierreich – welches Tier wären Sie? Er lächelt. „Wer hat denn das dickste Fell? Vielleicht ein Bär …“ Und Gisela Nacken? Björn Jansen? „Anderen Personen Tiere zuzuweisen, ist nicht mein Ding.“ Wahlkampf ist kein Spiel. Politik ist kein Spiel. Er setzt nichts in die Welt, was er später nicht mehr zurückholen kann.
Fünf Jahre als Oberbürgermeister – hat Sie das Amt verändert? „Ich hoffe nicht“, antwortet er. Als er sich im Oktober 2009 gegen Karl Schultheis durchgesetzt hatte, rieten ihm Freunde und Kollegen, sich nicht verbiegen zu lassen – darunter auch sein Vorgänger Jürgen Linden: „Er hat gesagt, in diesem Job werde man einsam. Ich habe das am Anfang nicht so genau verstanden. Inzwischen weiß ich aber, wie er das meinte.“ Einen anderen Rat gab ihm Manfred Bredohl, ehemaliges Vorstandsmitglied der CDU-Fraktion, als Philipp noch ein Schüler war und beim Wahlkampf mithalf. „Als ich sagte, dass mir der Wahlkampf Spaß macht und ich glaubte, neue Freunde zu finden, sagte er in sehr ernstem Ton: ‘Schlag dir das aus dem Kopf! Freunde findest du hier nicht. Wenn du es deswegen machst, dann mach es nicht!’“ Freundschaften pflegt Marcel Philipp seitdem am liebsten außerhalb der Politik.
Der Latte Macchiato ist ausgetrunken, letzte Frage: Wie schaltet einer ab, der von morgens bis abends von einem Termin zum anderen rauscht, dessen Kontakt mit seinen Kindern selten über das allmorgendliche Broteschmieren hinaus geht und der nicht seinen Kaffee trinken kann, ohne dass sich alle nach ihm umdrehen? „Wenn die Zeit es zulässt, gehe ich joggen. Und ansonsten – wie das bei Männern häufig der Fall ist – zappend vor dem Fernseher.“ \
LINK: Björn Jansen (SPD) im Porträt
LINK: Gisela Nacken (Grüne) im Porträt
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