Ludger Engels inszeniert am Theater Aachen „Nathan der Weise“
Wie geht das bloß mit dem Frieden? Lessings „Nathan“ verweist seit der Nachkriegszeit in Deutschland lehrplangerecht auf das Gebot der Toleranz. Ludger Engels, Chefregisseur am Theater Aachen, klopft den Klassiker weniger auf hehre Ziele und politische Statements ab. Er untersucht die Biographien der Protagonisten. Ein Interview.
Herr Engels, mit „Nathan der Weise“ erfüllen Sie sicher zahlreichen Deutschlehrern einen innigen Wunsch …
… ach ja, die Ringparabel. Jeder meint vermutlich, Nathan zu kennen. Aber die Ringparabel ist wirklich nur ein Krümelchen in dem Stück und man kann die Aussage dieses alten Textes nicht ausschließlich auf den Nenner bringen, dass es mehr als einen Gott gibt. Zu Lessings Zeiten war das sensationell, aber heute zählt eher die Beschäftigung mit dem Glauben an sich.
Inwiefern?
Lessing zeigt uns Menschen, die wegen ihres Glaubens in Krisen, in Konfliktsituationen geraten sind und versucht den Blick auf die Hintergründe zu lenken. Er leitet Entscheidungszwänge und Fehlverhalten aus den Biographien der Figuren her und bemüht sich um Erklärungen. Ich will die Geschichten dieser Menschen erzählen, die alle dazu verdammt sind, in Jerusalem miteinander zu leben. Das klingt erstmal sehr unspektakulär, wird aber in dem Moment extrem spannend, als die Feindseligkeiten anfangen aufzuweichen. Feinde stehen sich plötzlich als Menschen gegenüber und eigene Positionen geraten ins Wanken.
Ein Frieden im Nahen Osten ist heute ebenso wenig in Sicht wie zu Lessings Zeiten. Im Gegenteil, der religiöse Konflikt ist heute ein global-politischer geworden. Welche Perspektive kann ein Stück aus der Anfangszeit der Aufklärung da noch bieten?
Lessing macht mit diesem Stück ja den Versuch, diese wahnsinnig großen und komplexen Themen Religion, Theologie und Philosophie zu erden. Er bricht diese Themen auf und fragt nach: Worum geht es eigentlich? Er will, dass man versucht Ursachen zu gründen und nicht sofort zu urteilen. Lessing hat den Individualismus gepredigt und gegen die damaligen Denkstrukturen, gegen die politische Situation dazu aufgefordert: Mensch, denke nach! Dieser Ansatz ist heute so aktuell wie damals.
Die Ursachen für den israelisch-palästinensischen Konflikt kennt heute doch eigentlich auch jedes Kind …
… wirklich? Wir wissen von den relativ anonymen Gruppen, die sich dort gegenüberstehen. Aber durch Nathan erkennt man: Es sind nicht nur no names; es sind nicht nur ein Kreuz, ein Davidstern und eine Sichel, die da aufeinanderprallen, sondern dahinter stehen Menschen. Interessant wird es doch, wenn man sich mal klarmacht, dass der Moslem der nebenan wohnt, genauso die Klospülung benutzt, genauso Radio hört, auch wenn da eine andere Musik dudelt als im Christenradio oder im jüdischen Radio. Alle lieben, alle zweifeln, alle leben ihren Glauben auf ihre Weise. Sie stellen fest, sie haben alle auch ihre Gebote — nur dummerweise lautet eine der wichtigsten Regeln: Du sollst keinen Gott neben mir anbeten. Lessing bringt es auf die Formel: Ihr habt alle ähnliche Probleme.
Wie inszenieren Sie den Konfliktherd Jerusalem?
Wir haben uns von Alltagsszenen aus Jerusalem inspirieren lassen, wo die Menschen sich auf ein Leben mit der Gefahr eingerichtet haben. Permanent liegt die Möglichkeit von Gewalt in Form von Attentaten in der Luft. Ich schneide alle Passagen sehr dicht ineinander, damit man eine Figur auch weiterverfolgen kann, wenn sie in der Textfassung eigentlich schon wieder weg ist. Die Zuschauer sollen ein Gefühl für die Gleichzeitigkeit der Ereignisse bekommen. Es wird insgesamt ein pures Schauspiel. Die Figuren sind absolut ins Zentrum der Handlung gerückt. Ric Schachtebeck hat eine simple Bühne gebaut, die die Anmutung einer Landschaft hat, aber letztlich ein Zitat von einer ganz einfachen Bretterbühne ist.
„Nathan der Weise“ wurde nach dem 11. September häufig mit dem Verweis aufgeführt, das politische Theater habe wieder Konjunktur. Gilt das auch für die Aachener Aufführung?
Ich bin kein Freund von den großen Botschaften und Statements. Vielleicht steckt in „Nathan“ die Aufforderung: Komm mal runter! Hör mal auf mit deinen großen Reden, schieb nicht alles auf die Weltpolitik und lass die Stammtischparolen. Letztendlich ist es ein Stück, in dem eine Form von Pazifismus gepredigt wird. Und wo es um Engagement geht und darum, einer Position zu beziehen. Auch wenn’s weh tut. /// lb
Nathan der Weise
12. (Premiere), 19., 23., 26.9., 19.30 Uhr,
Theater Aachen, Bühne
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