Die Sonne und die Erde sind es, welche die Familie Solé seit mehreren Generationen in der katalanischen Gemeinde Alcarràs ernähren. Das Land haben die Großeltern einst vom lokalen Großgrundbesitzer Pinyol bekommen, weil die Solés ihn und seine gesamte Familie während des spanischen Bürgerkrieges versteckt hatten.
Seit 80 Jahren baut die Familie Pfirsiche an, die im Sommer groß, gelb und saftig an den Zweigen hängen. Aber damit könnte bald Schluss sein, denn der junge Pinyol will von den mündlichen Versprechen seiner Vorfahren nichts mehr wissen. Er möchte das Land zurückhaben und die Sonne für lukrativere Zwecke nutzen: Die Plantage soll einer Photovoltaikanlage weichen. Halb so viel Arbeit und doppelt so viel Verdienst verspricht er dem Familienvater Quimet (Jordi Pujol Dolcet), der in Zukunft als Firmenangestellter die Wartungsarbeiten übernehmen soll. Statt von Obstbäumen wäre sein Haus dann von Solarpaneelen umgeben. Aber so ein Leben kann sich Quimet nicht vorstellen.
In ihrem Film „Alcarràs“, der bei der diesjährigen Berlinale verdient mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet wurde (siehe rechts), begleitet Carla Simón („Fridas Sommer“) die Großfamilie durch den Sommer und die letzte Ernte. Die Regisseurin kommt selbst aus einer katalanischen Obstbauernfamilie und diese tiefe Verbundenheit zum Sujet merkt man ihrem Film in jeder Sekunde wohltuend an. Da ist der Blick für die Besonderheit der Landschaft, aus deren gelber Erde die Pfirsichplantage wie eine Oase herausragt, für die wechselnden Lichtverhältnisse der langen Sommertage und die Farben der Früchte, die man im Kinosessel förmlich zu riechen glaubt. Dabei bleibt ihre Sicht auf das Landleben gezielt unsentimental und entwickelt gerade dadurch seine berührende Tiefe.
In erster Linie ist „Alcarràs“ das Porträt einer intakten, bäuerlichen Großfamilie, die mehr ist als die chaotische Summe ihrer Teile. Die wunderbaren Laiendarsteller*innen wurden allesamt in der direkten Umgebung gecastet und sind sichtbar mit Land und Landwirtschaft vertraut. Die Kamera scheint hier als Familienmitglied mit am Tisch zu sitzen, bewegt sich mit den Figuren durch den Raum und die Natur, lässt die Grenzen zwischen drinnen und draußen verschwinden und entwickelt ein sinnliches Gespür für die ungeheure Freiheit des Landlebens, die mit harter Arbeit bezahlt werden muss. Mit viel Liebe und Detailreichtum scheint dieser Film mitten aus dem Leben zu entstehen und entführt in eine Welt, die es möglicherweise bald nicht mehr geben wird.
Von Matin Schwickert „Alcarràs - die letzte Ernte“
E 2022 // R: Carla Simon
Start: 11.8. | 120 Minuten | FSK noch offen
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