Endspurt bis zum 29.6.
Die erwartete Zahl von 100.000 Pilgern wird wohl locker übertroffen werden, aus aller Welt kommen Gläubige und Neugierige nach Aachen, um im Dom oder bei den Pilgermessen auf dem Katschhof die sog. „Großen Heiligtümer“ zu sehen: Vier Textilreliquien, die der Legende nach Kaiser Karl als Geschenk aus Jerusalem erhielt. Am Wochenende wird noch einmal Gas gegeben, zum Beispiel mit der Nacht der Jugend „We like to move it“ oder der Motorradmesse am Sonntag mit Pfarrer Hardy Hawinkels, zu der 500 Biker auf dem Katschhof erwartet werden.
Spektakel um alte Windeln?
Gezeigt werden das Kleid Mariens, die Windeln und das Lendentuch Christi und das Enthauptungstuch Johannes des Täufers - und zwar seit 1349 im Sieben-Jahres-Turnus, ansonsten werden die Reliquien im Marienschrein aufbewahrt. Was aber bedeutet das Spektakel um ein paar alte Windeln, die auch noch von einem (pipi-)gelben Seidenband gehalten werden?
Glaube und Zweifeln: Die vier Aachener Reliquien werden als Zeichen der Erlösung durch Jesus Christus gesehen. Für die Pilger ist die Frage nach der Echtheit der Reliquien (bei denen es sich nachweislich um sehr alte Stoffe handelt) dabei weniger von Bedeutung, es gilt ihr symbolischer Wert.
Wer pilgert? Rund um den Dom trifft man auf unterschiedlichste Menschen: Strenggläubige Pilgergruppen aus Russland, die demütig beim Gebet mit dem Kopf die kalten Stufen des Chorraums berühren oder fröhliche Pilger aus der Eifel, wie Guido Dichant und seinen Pilgerfreund Gerd Lennartz, die um 6.30 Uhr in Simmerath aufgebrochen sind und zu Fuß nach Aachen gekommen sind.
Eine Schulklasse aus Düren mit Gästen aus Budapest probiert das „Pilgerbrot“, also Öcher Printen. Lina (15) kann der Reliquienverehrung durchaus etwas abgewinnen, auch wenn ihr die Schlange am Eingang und das gedrängte Geschiebe im Chorraum sehr touristisch erscheint, sie hat ihr Pilgertuch von einem Domschweitzer durch die Berührung mit den Heiligtümern segnen lassen und will es ihrer 98-jährigen Oma schenken. Das sei ihr wichtig - damit bringt sie Motivation vieler Pilger auf den Punkt!
Am Münsterplatz unterhalten sich fünf Männer in unbekannter Sprache. „Das ist aramäisch, wir sind Chaldäer, dem katholischen Zweig der „Kirche des Ostens“ und kommen ursprünglich aus dem Irak“ erklärt Moris Adam, der an der RWTH studiert und mit einer Gruppe von 50 Chaldäern aus Essen gekommen ist.
Am Eröffnungswochenende waren auch zahlreiche „künftige Leistungsträger der Wirtschaft“ (Erzbischof Nikola Eterovic) unterwegs - die CV-Studentenverbindungen feierten ihr Jahrestreffen in Aachen und bescherten der Domstadt junge Männer in „vollem Wichs“, der Galauniform ihrer Verbindung.
Unzählige Helfer im Einsatz: Hinter den Kulissen läuft die Organisation präzise wie ein Schweitzer Uhrwerk: Mehr als 500 freiwillige Helfer sind im Einsatz, um mit Rat und Tat zur Seite zu stehen, notfalls auch mit Pflaster und Stadtplan. Stressig wird es am Sonntag, dann werden für die Bikermesse die fast 1.000 Stühle auf dem Katschhof weggeräumt und für die Abendmesse wieder aufgebaut: „Kein Problem“ für Chef-Organisator Franz-Josef Staat, „wir haben ein super Team und sind inzwischen routiniert.“
Mein Fazit des „Feldversuchs“: Die Gelegenheit, sich die Aachener Heiligtümer anzusehen, sollte man sich auf keinen Fall entgehen lassen, ganz gleich wie man dazu steht. Es sind - bei allen großen Fragen dieser Welt - vor allem die kleinen Dinge, die einen positiven Eindruck bei mir hinterlassen, ein herzlicher Gruß am Morgen, motivierte Helfer, die der Stadt ein freundliches Gesicht geben und die Begeisterung der chinesischen Touristin über ihr Glück das ungewöhnliche Ereignis zufällig mitzuerleben. Und als der Organist beim Komplet nach dem Abendgebet “Guten Abend, gut’ Nacht“ anstimmt und alle Besucher unabgesprochen mitsummen, habe ich Tränen der Rührung in den Augen. Ach, scho’ schön! \ Belinda Petri
Heiligtumsfahrt 2014
Mehr Fotos auf www.vretinari.de
WEITEREMPFEHLEN