Hier, inmitten der Aachener Altstadt, in den Straßen rund um das Parkhaus Büchel, ist es still. Die meisten Geschäfte haben schon länger geschlossen, die Kundschaft blieb immer öfter aus. Das Parkhaus, das in den letzten Wochen, aber auch über die letzten Jahrzehnte hinweg immer wieder in den öffentlichen Fokus rückte, bot dem letzten Einkaufswilligen vor gut sechs Monaten einen Stellplatz für sein Auto – und steht seitdem leer. Wer ein paar Meter in die andere Richtung geht, kommt nicht drumherum, dem anderen großen Gesprächsthema ins Auge zu schauen: Den Prostituierten, die hier fast flehend um Kunden werben, nachdem sie nach Monaten des coronabedingten Berufsverbots vor dem Ruin stehen. Und genau hier, zwischen Dahmengraben und Grosskölnstraße, im „Altstadtquartier Büchel“, soll sich jetzt etwas ändern.
Endgültig Schluss mit der Stille und Tristesse möchten die Vertreter von einigen der über 35 beteiligten Aachener Initiativen, die gekommen sind, um von ihren Plänen zu berichten, machen. Neben der studentischen Initiative „Rock your Life“, die Studenten als Mentoren an Haupt- und Realschüler vermittelt, ist auch der Verein „Rhizom 115“ und die „Aktion Sodis“ beteiligt, die Bildungsprojekte in Bolivien fördert. Lange hat man diskutiert und überlegt, wie das Stadtviertel endlich wieder lebenswert werden kann. Die Ideen und Entwürfe wurden letztlich im Rahmen des Sondierungsprozesses „Stadt machen am Büchel“, der von der Stadt Aachen eingeleitet wurde, vorgestellt – und fanden Gehör: Planungsdezernentin Frauke Burgdorff stellte den Aachener Initiativen nicht nur eines, sondern gleich vier nebeneinanderliegende Ladenlokale in der Mefferdatisstraße temporär zur Verfügung, um ihre Pläne zu verwirklichen. In den kommenden Monaten wollen die Initiativen gemeinsam mit der Stadt Aachen Hand in Hand an einer möglichen Umsetzung arbeiten.
Sichtbarkeit
305 Quadratmeter hat die SEGA den Initiativen insgesamt zur Verfügung gestellt. Hier, wo man sich früher in den verschiedenen Ladenlokalen bis in den späten Abend bei einem frisch Gezapften unterhielt oder auch eine neue Brille entdeckte, soll bald Platz für Treffen, Workshops und Veranstaltungen sein, aber auch, um Material zu lagern. Das ist unter anderem Tobias vom Verein „Rhizom 115“ wichtig, der seine eigenen Räumlichkeiten schließen musste, und nun keinen festen Treffpunkt mehr hat. Auch die Aachener Aktion Sodis kennt das Problem: „Wir treffen uns normalerweise in Uni-Räumen, aber um die konkurrieren viele Initiativen. Die Abstandsregeln in der Corona-Zeit verschärfen die Lage zusätzlich, da wir viel größere Räume buchen müssen als vorher, und die sind rar“, weiß Vertreterin Lucia. Doch den Initiativen geht es nicht nur darum, mit den neuen Räumlichkeiten endlich wieder einen festen Ort für ihre Treffen zu bekommen. Sondern auch das Thema „Sichtbarkeit“ kommt immer wieder auf. Man möchte von der Öffentlichkeit wahrgenommen werden, der breiteren Bevölkerung zeigen, dass die eigene Sache wichtig ist. Barnabas, der seine Masterarbeit über das Projekt schrieb und die „Pionier:innen am Büchel“, wie sie sich selbst nennen, insbesondere mit Raumplänen und Architektenentwürfen unterstützt hat, ist das ein großes Anliegen: „Wir haben durch die vier Ladenlokale eine große Schaufensterfläche, in der wir Passanten auf die Arbeit der verschiedenen Initiativen aufmerksam machen können. Hier könnte man Kunst aufhängen, Modelle ausstellen, aber auch Pläne. Es ist einfach eine gute Lage, hier, mitten in der Altstadt.“
Optimisten
Man möchte aber nicht nur im Stadtviertel arbeiten, sondern auch mit ihm. „Wir wollen nach außen ins Quartier hineinwirken“, drückt Tobias von „Rhizom 115“ das aus. Vorstellbar ist neben der offenen Tür für Passanten auch ein Straßenfest, und regelmäßige gemeinsame Aktionen mit den Anwohnern. Bis es soweit ist, wird noch viel Zeit vergehen. Nach der gröbsten Planung steht erstmal der Umbau an, den die Initiativen zum Großteil selbst erledigen. „Wir haben schon ein paar große Wände herausgerissen, um hellere und einladende Räume zu schaffen“, erklärt Patricia Yasmine Graf, die auch Mitglied im Verein „Rhizom 115“ ist. Mit dem Umbau in Eigeninitiative können nicht nur Kosten eingespart werden, auch für die Initiativen ergibt sich ein klarer Mehrwert: „Zusammen anzupacken schafft Community, das bringt uns mehr zusammen.“ Doch so fleißig die „Pionier:innen“ auch sind, es gibt Themen, um die sie sich nicht selbst kümmern dürfen. „Der Brandschutz oder auch die Elektrik müssen natürlich professionell gemacht werden, das können wir nicht selbst machen. Aktuell bereiten zwei Architekten den Nutzungsänderungsantrag beim Bauamt vor, darauf warten wir alle gespannt. Da sind noch viele Details offen“, führt sie weiter aus. Doch das tut dem allgemeinen Optimismus beim Treffen mit den „Pionier:innen am Büchel“ keinen Abbruch: „Wir wünschen uns einen offenen Community-Ort, und den werden wir auch eröffnen. Wann, das muss sich noch zeigen“, erklärt Patricia.
Offene Tür
Eine ganz andere Frage, die am Abend immer wieder aufkommt, ist, wie lange der Ort letztendlich bestehen wird, nachdem er eröffnet wurde. „Anderthalb bis fünf Jahre wurden mal in den Raum gestellt. Doch wenn dieser Ort schließt, muss es einen Neuen geben. Irgendwohin müssen wir ja alle“, sagt Tobias, während die Vertreter links und rechts von ihm zustimmend nicken. „Unsere Hoffnung ist, dass sich die Pläne mit der Zeit vielleicht auch noch verändern, dass sich ein solcher Ort auch verstetigen kann. Dass die entscheidenden Stellen sehen, dass wir wichtig für das Quartier sind und es ein großer Verlust wäre, wenn wir wieder schließen müssten“, ergänzt Barnabas. Doch noch befindet sich der neue, „offene Communityort“ im Umbau. Bis zur Eröffnung können sich Interessierte selbst ein Bild vom Projekt und seinen Akteuren machen. Auf Instagram (@meffis), und jeden Dienstag ab 20 Uhr vor Ort in der Mefferdatisstraße. /Simon Wirtz
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