Von Beate Böker
Es ist Freitag: Ausgabe. Überall im Hofladen von Gut Wegscheid stehen Kisten mit verschiedenen Gemüsesorten, in einem Schrank lagern frische Eier, die Brotregale sind gut gefüllt.
Die Mitglieder der Solawi-Gemeinschaft holen ihren wöchentlichen Ernteanteil ab. Der Hof liegt im Vaalserquartier, keine 200 Meter von der Vaalser Straße entfernt.
Im Bedarfsfall ab in den Tauschkorb
An der Wand im Hofladen hängen zwei Tafeln, auf denen verzeichnet ist, was der Ernteanteil diese Woche enthält: Muskat-Kürbis, Topinambur, Porree, Chinakohl, Eier. Zusätzlich hat man die Auswahl zwischen Roggen-, Dinkel- und Weizenbrot.
Im hinteren Bereich steht ein Getreidespender – statt Brot kann man sich auch frisch gemahlenes Getreide mitnehmen. Die Tafeln sind allerdings nur grobe Richtwerte; was einem nicht schmeckt, legt man in den Tauschkorb, um sich dafür etwas anderes zu nehmen.
Gesteigertes Bedürfnis
Momentan gibt es ca. 120 Erntebeteiligungen, entsprechend hoch ist der Andrang im Laden: Eltern mit Kindern, Rentner, Studenten – sie alle laufen zwischen ihren Körben und den Tafeln hin und her und suchen sich auf dem Weg durch den Laden zusammen, was ihnen zusteht.
Aber warum ist das Konzept der solidarischen Landwirtschaft so attraktiv? „Nach den zahlreichen Lebensmittelskandalen der letzten Jahre haben viele Konsumenten das Vertrauen verloren. Sie wollen ganz genau wissen, woher die Produkte kommen und wie sie angebaut werden“, erklärt Ulrich Prinz, Gründer der Solawi-Gemeinschaft in Aachen.
Er sieht die Motivation aber auch in einem gesteigerten Bedürfnis nach Nachhaltigkeit: „Die Leute machen sich immer mehr Gedanken, welchen Einfluss ihr Verhalten auf die Umwelt und die nachfolgenden Generationen hat.“
Beitrag für die Umwelt
Monika Brauweiler, Mitglied der Solawi-Gemeinschaft in Aachen, gehört zu diesen Menschen. Sie hatte bereits vorher stets im Bioladen eingekauft.
Als sie von dem Solawi-Projekt in Aachen erfuhr, nahm sie begeistert an der Initiative teil. „Ich glaube nicht, dass das biologisch angebaute Gemüse tatsächlich gesünder ist als das aus dem Supermarkt“, gibt sie zu, „aber für die Umwelt ist der biologische Anbau besser, weil weder Pestizide eingesetzt noch Monokulturen gepflanzt werden. Die Mitgliedschaft bei der Solawi-Gemeinschaft ist mein Beitrag für die Umwelt.“
Maximale Transparenz
Das Bewusstsein der Verbraucher steigt. Landwirt Daniel Bosse betont, wie wichtig auch Transparenz heutzutage ist: „Für den Kunden soll nachvollziehbar sein, wo das Erzeugnis herkommt und was drin ist. Er braucht Transparenz und fordert sie ein. Und er will Verantwortung übernehmen.“
Das gilt auch für die Kosten. Diese werden bei solidarischer Landwirtschaft offengelegt. Die Solawi-Gemeinschaft legt ein Jahresbudget und ein Gehalt für den Landwirt fest. Gewinn macht Bosse nicht: „Sollte es einen Überschuss geben, käme der allen Mitgliedern zugute.“
Planänderung im Studium
Der 36-jährige Agraringenieur betreibt den Hof seit Anfang 2013. Ursprünglich stammt Daniel Bosse aus Bonn. Nach dem Schulabschluss wollte er in die Entwicklungshilfe. Er studierte Agrarwissenschaft in Freising, doch noch während des Studiums änderte sich das Ziel: Naturschutz.
Er kehrte zurück nach Bonn und studierte dort Landschaftsökologie. Bei einem Praktikum auf einem Bio-Bauernhof kam er schließlich das erste Mal mit biologischer Landwirtschaft in Berührung.
Von Bonn nach Aachen
Nach dem Abschluss betrieb Bosse für drei Jahre einen Biohof in Bonn. „Um zu sehen, ob‘s klappt und ob das was für uns ist.“ Als die Pachtverträge nicht verlängert wurden, musste sich die junge Familie nach etwas anderem umsehen.
Gleichzeitig suchte die Solawi-Initiative in Aachen um Ulrich Prinz einen Hof in der Region, auf dem man das Projekt „solidarische Landwirtschaft“ in die Tat umsetzen konnte. Also tat man sich zusammen.
Nachhaltige Methoden
Solidarische Landwirtschaft zeichnet sich dadurch aus, dass nicht nur die Ernte, sondern auch das Risiko geteilt wird. „Das Risiko für einen Ernteausfall ist recht gering“, erklärt Bosse. Da auf Gut Wegscheid eine Vielfalt von Kulturen angebaut werde, sei es unwahrscheinlich, dass wirklich alles auf einmal ausfalle. „Sollte es zu Ernteausfällen kommen, trägt jedes Mitglied einen kleinen Teil des Risikos.“
Als Bosse den Betrieb vor zwei Jahren übernahm, waren viele Felder in einem schlechten Zustand. „Stellenweise erinnerte das an Landgewinnung; so verbuscht war das alles“, erinnert er sich.
Und es wird noch einige Jahre dauern, bis der Boden optimal genutzt werden kann. Das bewerkstelligt Bosse durch nachhaltige Methoden, wie die Kultur- und Sortenauswahl, die Art der Bepflanzung und die Technik der Unkrautbekämpfung.
„Die Nachfrage ist super!“
Er zieht Bilanz: „Wir sind zwei Jahre hier und stehen noch ganz am Anfang.“ Dennoch verzeichnet er Erfolg: „Die Nachfrage ist super!“
Im Hofladen geben sich derweil die Leute die Klinke in die Hand. Es ist ein permanentes Ein und Aus, während es draußen langsam dunkel wird.
Frische Eier als Ernteanteil
Eine Familie aus Schevenhütte nimmt für ihren Ernteanteil gerne den weiten Weg ins Vaalserquartier in Kauf. Dafür haben sie die Gewissheit, dass alle Produkte biologisch angebaut sind.Hinter dem Hofgebäude, auf einer Wiese, die an die Gallierstraße grenzt, gackern währenddessen munter ein paar Hühner zwischen den Obstbäumen.
Seit März 2014 sind knapp 100 Stück davon auf Gut Wegscheid zuhause, daher gehören jetzt auch frische Eier zum Ernteanteil. Wenn ein Huhn eines Tages keine Eier mehr legt, wird es geschlachtet.
Futter-Mist-Kooperation
„Wir haben lange überlegt vor diesem Entschluss“, gesteht Bosse. Das Schlachten übernimmt er jedoch nicht selbst. „Wir werden die Hühner zum Schlachter bringen und bekommen sie fertig wieder“, erklärt er. Es geht aber nicht nur um Eier oder Fleisch.
In der Biolandwirtschaft sind Tiere vor allem für eines wichtig: Dünger. Die 98 Hühner liefern allerdings nicht genügend Mist, um die 18 Hektar zwischen Gallierstraße, Gemmenicher Weg und Neukellerweg zu düngen. Momentan gibt es eine Futter-Mist-Kooperation mit dem Michaelshof in Orsbach. „Wir liefern das Futter und kriegen dafür Mist. Das versetzt uns in die Lage, ausreichend Dünger zur Verfügung zu haben, obwohl wir kein eigenes Vieh halten.“
„Eine illustre Mischung“
Eine bestimmte Klientel gibt es bei der Solawi- Gemeinschaft auf Gut Wegscheid nicht. „Unsere Mitglieder sind schon eine illustre Mischung“, erzählt Bosse amüsiert, „Studenten, Doktoranden, Berufstätige, Rentner – alles ist dabei. Im zweiten Jahr sind viele Familien mit kleinen Kindern hinzugekommen, das hatten wir im ersten Jahr nicht.“
Und weiteres Wachstum ist möglich, dafür bedarf es allerdings neuen Personals. „Vom Boden her geht noch einiges, nur von der Arbeitskraft und der Logistik her ist es begrenzt“, konstatiert Bosse. Langsam wird der Aufwand für ihn allein zu groß – und auch der Platz im Hofladen wird bald nicht mehr ausreichen.
Topanimbur und Hilfsbereitschaft
Am Abend lässt der Andrang im Hofladen langsam nach. Draußen wird es dunkel, es regnet. Nur noch vereinzelt betreten Leute den Laden. Leere Kisten stehen herum, das Brotregal ist geleert.
Eine Frau steht unschlüssig vor dem Tauschkorb, in dem mehrere Topanimbur-Wurzeln liegen. „Wie schmeckt Topanimbur eigentlich?“, fragt sie in den Hofladen hinein. Eine ältere Frau gesellt sich hilfsbereit zu ihr: „Wie Kartoffel, nur etwas süßer. Und sehr, sehr lecker.“ Man hilft sich. Schließlich ist man solidarisch.\
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