Von Simon Wirtz
Helge Hommes will keine „Deko-Kunst für’s heimische Wohnzimmer“ machen. Seit über 30 Jahren ist der Künstler weltweit auf der Suche nach besonderen Naturszenen, die ihn nachhaltig beeindrucken. Nach dem ältesten Kirschbaum der Welt in Japan ist jetzt der Hambacher Forst dran – um die Bäume, die bald Geschichte sind, ein letztes Mal auf die Leinwand zu bringen.
Junge Menschen mit schwarzen Sturmhauben ziehen vorbei, alte Kühlschränke blockieren den Weg, das „Anarcho-A“ prangt an jedem fünften Baum – der Hambacher Forst ist im Ausnahmezustand, denn er soll bald den Braunkohlebaggern weichen. Seit vierzig Jahren wird der über 12.000 Jahre alte Wald abgeholzt, nur noch ein kleiner Restbestand ist übrig geblieben. Der Energiekonzern RWE hat gerichtlich durchgesetzt, dass er roden darf – Vermittlungsrunden von Politik und Verbänden kommen noch zu keinem Ergebnis. Aktivisten aus ganz Europa wohnen deshalb im Wald, bauen Baumhäuser, -kochen zusammen, leisten Widerstand. Und mittendrin stehen der Leipziger Künstler Helge Hommes und seine Freundin Saxana Schötschel.
Naturstudio
Dabei ist das Künstlerpaar gar nicht Teil des Protestcamps, sondern nur kurz im Wald zu Gast. „Ganz spontan hat uns Professor Wolfgang Becker, der ehemalige Leiter des Aachener Ludwig Forum, angerufen. Wir sollen nach Hambach kommen und der Natur ein Denkmal setzen“, sagt Hommes, während seine Freundin Kaffee ausschenkt. Ruhig ist es hier. Wer sich bis zum Camp Norien durchschlägt, einem der vielen kleinen Camps im Wald, dem fallen direkt die großen Leinwände der beiden Künstler auf. Dahinter stehen Campingstühle, ein langer Tisch sowie mehrere Taschen und Rucksäcke. „Wir sind hier jeden Tag, von mittags bis spät abends“, erzählt Schötschel, während sie an ihrem Bild malt. Rings um die beiden Künstler herum sitzen sich vermummte Campbewohner gegenüber, essen, trinken Tee. Immer wieder kommen auch die Aktivisten zu Hommes und Schötschel, schauen sich die Gemälde an, unterhalten sich mit ihnen. „Wir fühlen uns hier wie Mama und Papa. Das ist wunderbar“, kommentiert Helge Hommes und lächelt. Die Gemälde entstehen in einem „Naturstudio“, also mitten im Wald, und sind dadurch Wind und Wetter ausgesetzt. „Wenn es regnet oder wenn die Bewohner etwas an den Bäumen aufhängen und Zweige runterfallen, dann hat das Auswirkungen auf die Gemälde. Und das ist gut so – denn es zeigt, sie wurden mitten in der Natur gemalt, und der Künstler hat diese auch gespürt und mit einfließen lassen“, meint Hommes. In einer Galerie ausgestellt, komme der Einfluss noch mehr zur Geltung.
Hambach statt Toronto
Nach Beckers Anruf haben sich die beiden aus ihrer momentanen Heimat Leipzig direkt auf den Weg ins Rheinland gemacht – und die Pläne für Toronto einfach links liegen gelassen. Da hatten sie nämlich eigentlich fest zugesagt. „Es ist eine akute Situation, Toronto kann warten. Die Bäume stehen möglicherweise nicht mehr lange und die Leute brauchen unsere Unterstützung“, begründet Hommes den Planwechsel. Und dann ging alles ganz schnell – mit zehn vorgespannten Leinwänden im Anhänger und einem vollgeladenen Kombi fuhren die beiden nach Aachen und wurden dort von der Künstlerkollegin Sarah Linke empfangen. Die stellt sogar ihr Atelier als Schlafplatz zur Verfügung.
„82 Porträts von Freunden“, die große Werkgruppe des britischen Künstlers David Hockney, war die Inspiration für die Naturgemälde. Hommes und Schötschel wollen so auch jeweils 82 Gemälde von Natur und Bäumen malen – und nennen das Ganze „82 + 82, H + S“. „Bäume sind Freunde des Menschen. Sie produzieren den Sauerstoff, atmen genauso ein und aus wie wir auch“, erklärt Saxana Schötschel. Insgesamt zehn Porträts sollen in Hambach entstehen, verteilt über zehn Tage – das kann nur funktionieren, wenn beide geben, was sie können. Interessant ist dabei vor allem, dass das Paar jeweils das selbe Motiv malt. „Wir malen das gleiche Motiv, aber das Ergebnis ist komplett unterschiedlich. Während Saxana eher die leichten und kleinen Dinge wahrnimmt und abbildet, denke ich architektonisch und male expressiver“, erklärt Hommes. „Die Bilder ergänzen sich, da man die Komplexität der Motive nicht auf einem Bild erfassen kann“, ergänzt seine Freundin.
Dicht dran
Wenn man sich das Bild, das gerade auf der Staffelei steht, ganz genau anschaut, sieht man neben den Bäumen und Baumhäusern einen großen schwarzen Hang. „Das ist der Tagebau, der der Natur und den Menschen hier immer näher kommt“, erklärt Hommes. Und tatsächlich sieht und hört man den -Tagebau auch – wenn man sich umdreht und den Blick von der Staffelei abwendet. Helge Hommes ist frustiert. „Mich ärgert einfach, dass so viele Wohlhabende Bilder wie dieses kaufen und sich an die Wand hängen. Aber die jungen Leute, die hier die Stellung halten, die verachten sie!“ Die Künstler haben während ihrer Tage im Hambacher Forst viele der „Menschen aus dem Wald“ kennengelernt, und sind beeindruckt vom Zusammenhalt untereinander: „Die trösten sich gegenseitig, helfen sich, hier wird keiner alleine gelassen. Das ist eine schöne Gemeinschaft.“ Um sie zu unterstützen, bringen Hommes und Schötschel jeden Tag Lebensmittel, geladene Akkus und Gaskartuschen mit. „Das ist das Mindeste, was wir tun können“ – da ist sich das angereiste Künstlerpaar Helge Hommes und Saxana Schötschel einig.
Nächster Stopp: Toulouse
Nachdem sie die zehn Porträts für die Werkgruppe gemalt haben, möchten die beiden Leipziger gerne noch vier Tage länger im Wald bleiben – natürlich nicht ohne zu malen. Für das große Finale der Kunstaktion im Hambacher Forst haben sie sich ein drei Mal vier Meter großes Laken gekauft, das sie bemalen werden. „Das wird eine Herausforderung, aber die nehmen wir an. Dieser Wald muss in Erinnerung bleiben, und für uns fühlt sich das einfach richtig an, ein Denkmal mit diesem großen Gemälde zu setzen“, sind sich die beiden sicher. Von Hambach aus soll es als Nächstes ins französische Toulouse gehen, wo sich die Leipziger wieder an einem Waldprojekt beteiligen werden.
Doch nicht vor dem großen Finale: „Ganz am Ende, am letzten Tag, werden wir ein großes Abschlussfest mit allen hier feiern und die Bilder ausstellen, die hier im Forst entstanden sind“, freut sich Saxana Schötschel. „Das muss ordentlich werden – denn es könnte das letzte sein.“, fügt sie hinzu und wird plötzlich leiser. \
Zur Info
Unser Autor Simon Wirtz war Anfang September im Hambacher Forst. Seitdem hat sich die Lage dort grundlegend geändert. Mit schwerem Gerät und Hundertschaften ging die Polizei die Räumung der Baumhäuser an. Mehrere Tausend Demon-stranten kamen. um sich für den Erhalt des Waldes einzusetzen. Nach dem tödlichen Unfall eines Bloggers sind die Räumungsarbeiten bis auf Weiteres gestoppt worden … \
Zeit Zeichen
Auch wenn sich noch vor Druck des Artikels eine ganze Menge an der -Situation im Hambacher Forst geändert hat, finden wir, dass die Bilder von Helge Hommes und Saxana Schötschel nichts von ihrer Aktualität verloren haben und zeigen, wie friedlicher -Widerstand funktio-nieren kann. \
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