„… draußen vor den Fensterläden kündigt sich ein Sonnentag an. Luxus, Stille und Genuss. Beruhigend. … zwei Minuten vor acht, er stellt das Radio an, drei Werbespots, im Anschluss die Nachrichten. Auseinandersetzungen in der Ukraine, Chaos in Libyen, Geiseln und Krieg in Syrien, der Welt geht es schlecht, er hört dösend zu.“
Wie immer hat Dominique -Manotti, promovierte Historikerin und wichtigste Autorin des französischen Wirtschafts- und Polit-Thrillers, es nicht nötig, mit opulentem sprachlichen Dekor zu arbeiten, auch in ihrem neuesten Roman „Kessel-treiben“ (exzellent übersetzt von Iris Konopik) erweist sie sich als Meisterin des knappen, schnörkellosen Stils, der gerade dadurch sowie durch vollkommene Treffsicherheit glänzt – und einen tricky Plot: Ein mittlerer Manager des französischen Energiekonzerns Orstam wird auf Geschäftsreise in den USA verhaftet, es droht ein Sex- und Drogen-Skandal, der indes lediglich Vorgeplänkel ist für weit skandalösere Vorgänge, weit brutalere „Bauernopfer“ in einer internationalen Konzern-Schach(er)partie. Es geht alles andere als zimperlich zu bei den korrupten Übernahmevorbereitungen zwischen Orstam und dem USA-Konkurrenten Power Energy; man geht dabei bis hin zum Mord.
„Die außergesetzlichen Praktiken der Großunternehmen geben ihnen bisweilen Anlass, mit der klassischeren Verbrecherwelt zusammenzuarbeiten.“
Längst ist die Pariser Abteilung der französischen Nachrichtenbehörde RGPP aufmerksam geworden, geleitet von Commandant Noria Ghozali (die Manotti-Lesern als Protagonistin mehrerer Romane bekannt ist. Diesmal trifft sie mit einer anderen Hauptfigur der Autorin zusammen, Daquin: eine interessante Begegnung, während der Ghozali – nebenbei – einen guten Café schätzen lernt, aber natürlich nicht nur das).
Alle Erkenntnisse des kleinen, aber höchst intelligent ermittelnden Teams weisen auf eine von langer Hand geplante Übernahme hin, die den französischen Aktionären indes als Rettung verkauft werden soll. In die Machenschaften sind nicht allein führende Orstam- und PE-Manager verwickelt, auch die NSA mischt mit: Ausspionieren unter Freunden, das geht sehr wohl. Und, welche Überraschung, auch französische Banken tragen „ihre“ Scherflein bei. Und die Politik? Sollte Ghozali je geglaubt haben, dort Unterstützung zu finden, so muss sie sich enttäuscht sehen – getäuscht sogar, denn einiges weist darauf hin, dass im Wirtschaftsministerium mehr Interesse am Vertuschen der Affäre besteht als an ihrer Aufklärung; eine Krähe hackt der anderen eben kein Auge aus. Zweifel an der Effizienz ihrer Arbeit waren Ghozali indes ohnehin längst gekommen: „Wir sind elende Stümper, mit einer Wasserpistole bewaffnet kämpfen wir unkoordiniert gegen eine zusammengeschweißte Truppe, die die Atombombe einsetzt.“
Wie immer denkt sich Madame Manotti einen solchen Plot nicht auf langen Waldspaziergängen aus – sie studiert die Wirtschaftsteile der Zeitungen, recherchiert gründlich nach und holt die Wirklichkeit in die Literatur. „Kesseltreiben“ ist frei (sehr frei) inspiriert von der „Alstom-Affäre“, der Übernahme des französischen Unternehmens Alstom Énergie durch den US-Konzern General Electric. Im Anhang zum Roman, den man sich unbedingt zu Wissen und Gemüte führen sollte, finden sich Hintergrundinfos und zahlreiche Links zu den realen Vorgängen um Alstom und GE, die so lange noch gar nicht zurückliegen – und keineswegs „besonders“ sind, sondern einem Muster folgen, den Regeln des internationalen Konzern-Schach(er)s eben.
Die gut getarnten Grauzonen der ganz großen, der ganz profitablen Kriminalität befinden sich nicht in jenen gesellschaftlichen Randgebieten, die nach Aussage eines Ex-Präsidenten „gekärchert gehören“ – sie sind in bestens ausgestatteten, bestens geschützten Unternehmensetagen zuhause und werden es, daran gibt es leider wenig Zweifel, auch bleiben. \ Gitta List
Dominique Manotti
„Kesseltreiben“
Ariadne 2018
396 Seiten
20 Euro
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