Gelogene Wahrheiten
Stück von Eric-Emmanuel Schmitt
Gilles lässt sich auf seinen Lieblingssessel nieder ohne sich erinnern zu können, dort jemals gesessen zu haben. Lisa, seit 15 Jahren mit ihm verheiratet, sieht ihn verzweifelt an; versucht, in ihrem Mann die Erinnerungen zu wecken. Nach einem Unfall hat Gilles scheinbar sein Gedächtnis verloren und versichert seiner Gegenüber im eigenen Wohnzimmer, niemals hier gewesen zu sein. Er siezt Lisa; den Mantel behält er an.
Das Stück „Kleine Eheverbrechen“ von Bestseller-Autor Eric-Emmanuel Schmitt ist ein Dialog zwischen einem Ehepaar, welches krampfhaft auf der Suche ist: An welcher Stelle eines langen Weges blieb das Liebesglück nur auf der Strecke? Doch: Je weiter gebohrt wird, desto freudloser ist die Wahrheit.
Gilles lässt sich zum „Du“ hinreißen, legt endlich den Mantel ab und fordert: „Erzähl mir von mir!“ Und Lisa erzählt: „Die Ehe mit dir ist die Hölle. Eine Hölle, an der ich hänge — da ist es warm!“ Der Krimiautor Gilles begibt sich immer weiter auf Spurensuche; laut seiner Frau ging er stets gerne durch die Läden shoppen oder trank mit ihr Tee. Hier wird dem Zuschauer klar: Lisa versucht, sich aus Gilles den perfekten Ehemann zu biegen. Zudem stellt sich schon bald heraus: Seine Amnesie war ein Täuschungsmanöver, um Lisas Gefühle für ihn zu hinterfragen. Beide Spiele fliegen auf; man verplappert sich und die Fassaden bröckeln heftig.
War es bis hierhin noch eine scheinbare Komödie mit zwei gewieften Lügnern in den Hauptrollen, beginnt spätestens jetzt die Tragödie: „Wer manipuliert hier wen?“ stellt Gilles in den Raum. Eine berechtigte Frage — sie verheimlicht ihm ihre Trunksucht; er hat in seinem Erfolgsroman einen Abgesang auf die (eigene?) Ehe niedergeschrieben. Volker Risch spielt den hadernden Grübler, der noch nicht aufgeben will, der noch einmal in Erinnerungen schwelgt. Später legt er fantastisch Gilles’ schonungslose Bitterkeit dar, wenn er seiner Frau die Schnapsflasche fordernd unter die Nase hält.
Der Zuschauer starrt voyeuristisch in das von Charles Copenhaver gestaltete Bühnen-Wohnzimmer der beiden Ehepartner und gleichzeitig in die Abgründe ihrer Seelen! Vordergründig erblickt man ein chices Ambiente; Kunst an der Wand, Bücher im Regal. Doch genau hinter diesen versteckt Lisa ihren billigen Fusel. Sie ist paranoid, von Misstrauen getrieben. Trotzdem kann sie nicht ohne Gilles. Ingeborg Meyer verkörpert alle Züge dieser Figur mit einer unheimlichen Präzision — sei es die schelmische Schwindlerin, die eifersüchtige Furie oder die verzeihende Gattin. Denn genau hier endet der Ehekampf: In der Versöhnung.
Längst hat der Beobachter an dieser Stelle eigene Beziehungsgeflechte für sich durchleuchtet, doch: „Das Leben macht, was es will“, resümiert Gilles. Im Stück ist es das unerwartete glückliche Ende. Schade nur, dass man sich fast sicher sein kann: In der Realität außerhalb des Theaters wäre es sicherlich anders gekommen.
Foto: Grenzlandtheater Aachen
Termine:
1.3., 2.3., jeweils 20 Uhr Grenzlandtheater, dann externe Spielstätten
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