Wie lange kann man einem Mann Unrecht antun, bis er zurückschlägt? Im Falle von Michael Kohlhaas dauert es eine ganze Weile. Man nimmt ihm Geld, Pferde, einen Stallknecht und letztendlich noch seine Frau. Doch dieser letzte Tropfen bringt das Fass zum Überlaufen. Wie ein biblischer Racheengel bläst der Pferdehändler zum Totalangriff auf seine Peiniger, ohne Maß schlachtet er die Verbündeten seines Widersachers, dem Junker von Tronka, und schreckt dabei selbst vor Kindsmord nicht zurück.
Doch genug zu Heinrich von Kleists historischer Vorlage. In ihrer Inszenierung (nach einer Bearbeitung von Franziska Steiof) setzt Nora Mansmann ganz auf die schauspielerische Kraft ihrer Darsteller. Mit Recht. Der schmale Roman Konieczny wandelt sich vom kein-Wässerchen-trübenden und total besonnenen Bürger zur um sich schlagenden Bestie, die sich in ihrer Rolle als Rächer des kleinen Mannes sehr gefällt. Der Narzissmus geht so weit, dass sich Kohlhaas – völlig trunken von seinem Amoklauf – in Glückseligkeit auf dem Boden windet, so dass sich seine Kollegen (beide überzeugend: Joey Zimmermann u.a. als Junker und Emilia Rosa de Fries u.a. als Kohlhaas’ Frau) peinlich berührt abwenden.
Als wichtigste Requisiten dienen acht auf Stempeln stehende Neonröhren, die abwechselnd Schlagbaum, Gefängniszelle oder Straßenzug symbolisieren. Kohlhaas´ Maßlosigkeit, sein Denken in gut und böse, gerecht und ungerecht, spiegelt sich in dem Schwarz und Weiß, dem Dunkel und Hell wieder, das die ganze Inszenierung beherrscht. Einziger Farbtupfer ist das Theaterblut, mit dem sich die Mordbrenner ausgiebig einreiben, während ferne Trommeln von der nahenden Schlacht künden.
Trotz der rasenden Blutorgie und des bierernsten historischen Stoffes schafft es Mansmann, einige absurd-komische Elemente in der Handlung unterzubringen. Bei Joey Zimmermanns Jackenwechsel fragen die beiden anderen Akteure lautstark, was denn da so lange dauere, und berauben das Publikum in Brechtscher Manier für einen kurzen Moment der Theaterillusion. Am Ende des Stücks wirft sich der selbstverliebte Kohlhaas in Jesuspose, bereit, wie einst der Heiland in den Tod zu gehen. Leider tritt das Unvermeidliche nicht ein und lässt den Helden, unwürdig und mit den Händen zappelnd, dastehen.
Sieht so ein Held aus? Während das Volk ihn für seinen „gerechten Krieg“ (Kohlhaas) feiert, sinkt der Rosshändler in der Gunst des Publikums, bis er am Schluss fast lächerlich wirkt. Das Kleist-Zitat „Lasst uns etwas Gutes tun und dabei sterben“ bildet den Rahmen des Stück, doch das Gute hat Michael Kohlhaas längst aus den Augen verloren. ///Sebastian Dreher
8., 12., 15., 17., 22. und 29.10.
„Michael Kohlhaas“
20 Uhr, Theater Aachen, Mörgens
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