Schwarzer Vorhang, schwarze Bühne, kaum Licht. Auf Kinosesseln im vorderen Bereich schlafen fünf Personen in anthrazitfarbenen Anzügen. Sie liegen, hängen, sitzen über die Sitzreihe verteilt. Weit hinten im Spielraum schläft ein Mann sogar in einem Bett.
Plötzlich ertönt ohrenbetäubender Lärm. Störgeräusche erklingen. Erst einmal, dann zweimal, dann nochmal. Wie oft? Gefühlte zehn Minuten. Erschrocken springen die Personen auf, schnappen sich die Hüte, Aktenkoffer, Jacken. Sie flüchten. Wohin bloß? Der Herr im Bett erwacht ebenfalls. Er hat Geburtstag. Sein Problem: Er wurde verhaftet. Warum? Unklar. Eine Flucht? Aussichtslos. „Sie wurden verhaftet und damit ist für heute genug“, erläutern zwei Beamte. Von welcher Behörde sie stammen, interessiert niemanden. Namen? Haben sie keine. Und damit beginnt auf der großen Bühne des Theater Aachen Kafkas „Prozess“ in einer wirklich gelungenen Inszenierung von Christian von Treskow.
Josef K., gerade Dreißig geworden und Bankprokurist, dachte, er lebe in einem Rechtsstaat! Aber ohne, dass er etwas -Böses getan hätte, wird er verhaftet. Die Beteuerungen seiner Unschuld wird ihm sogar als Schuld seiner Unkenntnis der Gesetze ausgelegt. Doch damit der Verwirrung nicht genug. „Jemand musste Josef K. verleumdet haben.“ Trotz seiner Festnahme darf sich K. noch frei bewegen und weiter seiner Arbeit nachgehen. Vergeblich versucht er herauszufinden, weshalb er angeklagt wurde und wie er sich rechtfertigen kann. Dabei stößt er auf ein für ihn nicht greifbares Gericht und durchläuft groteske Situationen mit noch groteskeren Personen – ein Genie im Laufstall, ein Advokat in der Badewanne, liebeshungrige Fräuleins in aufreizenden Korsagen – die ihm keine Antworten liefern können, sondern ihn immer weiter in einen Strudel der Verwirrung und Ungewissheit ziehen.
Was für den Zuschauer erschwerend hinzukommt: Sieben Schauspieler schlüpfen in über 40 Rollen. Da stellt sich nicht nur einmal die Frage: Wer hat’s gesagt? Wer ist gerade wer? Einzig Benedikt Voellmy bleibt ein, für die Verhältnisse, äußerst ruhiger Josef K., der mit Sachverstand versucht den Schlamassel aufzudecken. Oder nicht?
Drei Stunden begleitet man den Mann mit dem bleichen Gesicht und dem nicht ganz so perfekt sitzenden Anzug (seiner ist ein kleines bisschen dunkler als die der anderen) auf seinem Weg bis zur Tür vor dem Gesetz.
Die düstere Handlung wird fast ausschließlich in Schwarz und Weiß gezeigt. Bühne und Kostüme (Sandra Linde und Dorien Thomsen) könnten passender kaum sein. Die Bühne erscheint riesig und dennoch beklemmend. Wirkt wie ein Verhörzimmer in einem Krimi Marke „Film Noir“. Ausgeleuchtet wird immer nur ein kleiner Teil der Bühne. Das Licht ist kalt, unsympathisch, anonym. Drei gigantische Türen und ein Fenster hätten eigentlich das Zeug zur Fluchtmöglichkeit. Aber man spürt: Eine Flucht ist unmöglich.
Die Geschichte ist ernst, der Text schwer. Humor schwingt mit – nur eben finster und grotesk. Aber es ist ja auch Kafkas „Prozess“ und kein Gassenhauer, der hier auf die Bühne gebracht wurde. Das merkt man auch am zum Teil erschöpften Publikum, das am Ende Jubelrufe lautwerden lässt.
Kurz vor dem Schluss wird dann doch noch ein Slapstick-Witz eingebaut. Wie? Wird nicht verraten. Warum? Selber hingehen.
(von Kira Wirtz)
Theater Aachen - "Der Prozess"
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