Der triste Flur einer Friedhofsverwaltung. Beinahe ein Kasten mit einer Fensterwand, durch den Loge und Bühne getrennt werden und das Publikum weiß: Er ist Zuschauer. Diese visuelle Barriere hängt auch zwischen dem geschiedenen Ehepaar im Inneren des Glaskastens. Nach neun Jahren Schweigen wurden beide zum Friedhof konsultiert, weil Gift in der Erde die Umbettung unzähliger Gräber verlangt. So auch das von Jakob, ihrem Sohn, der vor fast zehn Jahren durch einen tragischen Autounfall starb.
Das Gift der Vergangenheit ist es auch, das sich wie ein Reizfaktor durch die Dialoge des entfremdeten Ehepaares zieht, sie gegeneinander ausspielt und zu verblichenen Disputen zurückführt. Ihr anfängliches Geplauder über das Wetter wandelt sich zügig zur Reflexion ihrer Ehe, die am Tod des einzigen Kindes zugrunde ging, weil sie erst dieses, „sich selbst und dann einander“ verloren. Das Paar könnte unterschiedlicher mit seiner Trauerbewältigung nicht umgehen: er, längst nach Frankreich umgesiedelt und mittlerweile neu verheiratet, schreibt ein Buch über das Erlebte; sie, unfähig den Verlust zu überwinden, lebt in einer ständigen Wiederholung des Geschehenen. „Leiden macht süchtig“, muss sie sich anhören, als sie ihrem Ex von der Schlaftablettenabhängigkeit berichtet.
Regisseur Ludger Engels kitzelt mit der Bühnenausstattung von Romy Springsguth die Thematik der Distanz heraus. Neben der trennenden Glaswand, den vom Mikrofon übertragenen Stimmen werden da auch die Gesichter der Schauspieler in übergroßen Bildern live an die Wand projiziert. Vielleicht, um noch einmal zu veranschaulichen, dass es um Nähe und Vertrautheit geht, die man fürchtet, die vor langer Zeit – gemeinsam mit dem Sohn – verloren ging und die man sich zurückwünscht. Die geforderte Mimik der Darsteller ist stimmig – und stark: Katja Zinsmeister wechselt fast manisch mit stummen Schreien und Heulattacken von sympathisch bis hin zu wahnwitzig. Torsten Borm wirkt daneben als einfühlsamer Ex-Mann samt Hornbrille und krausem Haar geradezu zurückhaltend.
Als eine bis in die Wutbesinnungslosigkeit abdriftende, brutale Hassschlacht à la Edward Albee werden die Charaktere von Engels nicht definiert. Es sind schwermütige, intensive 75 Minuten, die das Drama der Niederländerin Lot Vekemans bietet und die ohne Clou oder unerwartete Wendung auf nackte Worttherapie setzt. \ sh
Theater Aachen - "Gift. Eine Ehegeschichte"
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