Für sein erstes Theaterstück hat Soleimanpour ein gewagtes Konzept erstellt: Ein einzelner Schauspieler bekommt seinen Text und alle Handlungsanweisungen in einem verschlossenen Umschlag auf der Bühne übergeben – keine Regie, keine Proben, keine Vorbereitungszeit. Was erst einmal wie das Drehbuch einer 08/15-Vorabend-Spielshow im Fernsehen klingt, wird für Zuschauer, Theaterleitung und Schauspieler gleichermaßen zum fesselnden Theaterexperiment. Philipp Manuel Rothkopf macht am Premierenabend den Anfang.
Weil bei jeder Aufführung das Experiment von vorne beginnt, wird beim nächsten Mal ein anderer Schauspieler die Rolle übernehmen. Als er den Umschlag öffnet, wirkt Rothkopf selbstbewusst, gibt jedoch offen zu, dass auch er nicht weiß, was an diesem Abend auf ihn zukommt. Bereits nach wenigen Spielminuten ist klar – wer klassisches Theater erwartet hat, ist hier falsch. Jeder Zuschauer bekommt eine Nummer, lustige Aufgaben werden verteilt und Soleimanpour – also der Autor höchstpersönlich – spricht durch den Schauspieler direkt zum Publikum. Wieder könnte man das Ganze durch voreilige Schlüsse als belanglose TV-Show mit Mitmach-Charakter abstempeln.
Doch wer diese Schlüsse zieht, liegt falsch: Denn der Autor weiß seine kritischen Botschaften lediglich geschickt zu verpacken. Weil er selbst den verpflichtenden Wehrdienst in seinem Heimatland Iran verweigerte, stellten ihm die staatlichen Behörden keinen internationalen Reisepass aus. Der regimkritische Künstler war so lange Zeit Gefangener in seinem eigenen Land. Wenn es also um Kaninchen geht, die nicht in den Zirkus gehen dürfen, beim Rausgehen ihre Ohren bedecken müssen und auf bestimmte Verhaltensweisen konditioniert werden, dann findet man hinter jedem Bild eine Kritik zu Machtstrukturen, Manipulation und Freiheit.
Und weil Soleimanpour diesen schmalen Grat zwischen Unterhaltung und beinah philosophischem Diskurs so gekonnt ausreizt, verwundert es nicht, dass das Publikum an manchen Stellen vor Lachen weint, an vielen Stellen totenstill den Worten des Textes lauscht und am Ende viele gemischte Gefühle mit nach Hause nimmt. \ih
5.+28.5. „Weißes Kaninchen, rotes Kaninchen“
20 Uhr, Mörgens
KlenkesTicket im Kapuziner Karree
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