Von Ulrich Herzog
Was macht ein Theaterintendant scheinbar, wenn er befürchten muss, dass am Ende seiner Haushaltsmittel noch zu viel Spielzeit übrig bleiben könnte? Eine Möglichkeit: Er streicht die vorgesehene Uraufführung eines avantgardistisch-multimedialen Projekts und setzt an dessen Stelle Bewährtes, das er zur weiteren Reduktion der Kosten dann in einer „halbszenischen“ Aufführung präsentiert. So könnte auch Donizettis Belcanto-Oper „Maria Stuarda“ in der laufenden Saison auf die Bühne des Aachener Theaters gelangt sein. Auf den zweiten Blick entpuppt sich der Klassiker in Minimalismus gehüllt, als wirkungsvolle Operninszenierung.
Da das Szenische einer Opernaufführung aber keine quantifizierbare Größe darstellt und obendrein die Regie dem früheren Chefregisseur des Theaters, Ludger Engels, übertragen worden war, der sein Handwerk versteht, stand allerdings nicht zu befürchten, dass die Premiere auf einen schlichten Konzertabend hinauslaufen würde. In der Tat hat man auf den Bühnen der Opernwelt schon minimalistischere Inszenierungen gesehen.
Die dramatische Vorlage für das Libretto hat bekanntlich ein gewisser Friedrich Schiller geliefert: Elisabetta von England hält ihre Cousine, Maria Stuarda, Königin von Schottland, gefangen. Sie wird der Teilnahme an einer Verschwörung bezichtigt. Roberto, Graf von Leicester, versucht aus Liebe zu Maria deren Rettung zu erreichen. Er arrangiert ein Zusammentreffen der beiden Königinnen, bei dem Maria sich Elisabetta unterwerfen soll. Doch die Dinge geraten außer Kontrolle. Statt einer Demutsgeste gibt es Provokationen für Maria, die, hierdurch gereizt, Elisabetta ihre angeblich illegitime Herkunft vorhält. Hierdurch wird ihr Todesurteil besiegelt.
Engels präsentiert dem Publikum eine spärlich ausgestattete Bühne, die alles ist: Ein Raum im Palast, ein Kerker, ein Gerichtssaal, ein Richtplatz. Ein Gazevorhang trennt den Guckkasten in einen vorderen und einen hinteren Teil, der dem exzellent disponierten Chor (Leitung: Elena Pierini) und einer Näherin vorbehalten ist, die das Hinrichtungskleid Marias schneidert. Ein Tisch, zwei Stühle, rechtwinklig zueinander positioniert, für den Showdown der beiden königlichen Protagonistinnen.
Trotz oder vielleicht gerade wegen der minimalistischen Szenerie gelingt Engels eine sehr wirkungsstarke Darbietung, wozu vor allem seine Personenführung beiträgt. Er zeichnet Maria als noble Aristokratin, die sich mit reduzierter Mimik und würdevoller Körpersprache in ihr Schicksal ergibt. Ganz anders demgegenüber Elisabetta, die angesichts des von ihr zu verantwortenden Todesurteils nervös und verunsichert ist und dies hinter einem dicken Auftrag von Theaterschminke zu verbergen sucht.
Schonungslos offenbaren die Portraits der beiden Protagonistinnen, die per Video, nebeneinander gestellt, auf die Gazeleinwand projiziert werden, die Gefühlsregungen der beiden Königinnen. Man begegnet sich so auf Augenhöhe. Wer ist die Richterin? Wer die Gefangene?
Hier überzeugt das schauspielerische Vermögen der Juillard-Absolventin Julia Mintzer in der Rolle der Elisabetta. Ihr gebührt auch für ihre gesangliche Leistung der Lorbeer des Abends.
Karl Shymanovitz als musikalischer Leiter des Abends dreht allerdings etwas zu sehr den Lautstärkeregler des ansonsten solide agierenden Sinfonieorchesters nach rechts. Er lässt hierdurch die übrigen Solisten in den ohnehin schon schwierigen Partien an für sie ungewöhnliche Belastungsgrenzen geraten, womit er insbesondere Irina Popova in der Titelrolle und Alexey Sayapin als Roberto keinen großen Gefallen tut. Woong-jo Choi, als Talbot mit tiefdunkelrabenschwarzem Bass, besitzt hingegen das nötige Durchsetzungsvermögen.
Gleichwohl ist ein Besuch einer der noch verbleibenden Aufführungen zu empfehlen. Hierzu trägt natürlich auch die Inszenierung bei. Prädikat: mindestens „dreiviertelszenisch“. \
11. (19.30 Uhr) + 15.7.
„Maria Stuarda“
18 Uhr, Bühne, Theater Aachen
www.theateraachen.de
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