Herbert Grönemeyer ist ein Seismograph deutscher Befindlichkeiten. Seine Paradenummern sind in den nationalen Wortschatz eingegangen: „Wann ist ein Mann ein Mann?“, „Flugzeuge im Bauch“, „Bleibt alles anders“, „Zeit, dass sich was dreht“. In seinem Bereich so oft zitiert wie Goethe und Schiller.
Das Leben ist nicht zimperlich umgegangen mit dem am 12. April 1956 in Göttingen geborenen Sänger und Schauspieler. Im November 1998 starb sein älterer Bruder Wilhelm an Leukämie, zwei Tage später erlag seine Frau Anna einem Brustkrebsleiden. Zurück blieben zwei schulpflichtige -Kinder und ein Popstar, der plötzlich nicht mehr wusste, ob er jemals wieder einen Song würde schreiben können. Doch wie einst die Weimarer Dichterfürsten reagierte Grönemeyer auf Schicksalsschläge mit Phasen der Produktivität. Über zwölf Jahre sind seither ins Land gezogen und der Mann mit den Stolpertönen hat nun schon die dritte Langspielplatte seines neuen Lebens aufgenommen.
„Schiffsverkehr“ zeigt ihn vor allem als einen Menschen, der sich seinen trotzigen Optimismus bewahrt hat, und einen Visionär, der ohne die Kunst nicht existieren kann. Der populärste deutsche Sänger des 21. Jahrhunderts mag zwar ein wenig an Haupthaar eingebüßt haben, aber seinen Biss und seinen Scharfsinn hat er sich bewahrt.
Die Musik ist größtenteils in der Stockholmer Mono Music-Klangschmiede entstanden. „Netterweise hat uns der Benny von ABBA sein Studio zur Verfügung gestellt“, erzählt der Sänger anlässlich einer Pressekonferenz im Berliner Haus der Kulturen der Welt. Damit schließt sich ein Kreis, denn Grönemeyers Album „Mensch“ ist laut Statistik die in Deutschland erfolgreichste Platte aller Zeiten, vor den Beatles und – ABBA.
Im sommerlichen Stockholm direkt am Wasser wurde er von der Muse geküsst. Die Kreuzfahrtriesen und Dreimaster versetzten ihn in eine euphorische Stimmung und weckten seine Lebensgeister; die Musik, die dabei entstand, klingt oft bejahend, zuweilen sogar richtig fröhlich.
Sich selbst neu zu erfinden wie einst bei dem experimentierfreudigen „Bleibt alles anders“ – soweit wollte Grönemeyer diesmal nicht gehen. „Es ist eine Mischung aus meinen 80er-Platten und ‚Bleibt alles anders‘, welches sicherlich das beste Album ist, das ich je gemacht habe“, findet der Superstar. Unsicherheit ist ihm trotz allem nicht fremd. „Wenn man da mitten drin hängt, zweifelt man auch maßlos.“ Einen lauwarmen Aufguss von Seemannsliedern serviert er jedoch nicht; „Schiffsverkehr“ ist vielmehr der endgültige Schritt in eine Zukunft ohne einengende Kategorien. Diese Energie macht das Album so lebendig und über weite Strecken überzeugend. Bei den zum Teil opulenten Arrangements wurde mit Streichern nicht gespart. Altersmilde? „Ich werde sicher älter, aber nicht milder. Die Platte hat Dynamik und Druck, sie ist rund und schlabbert nicht vor sich hin.“
Die letzte Freiluft-Tournee des 55-Jährigen besuchten eine Million Menschen. Er hofft, dass die von Anton Corbijn gestaltete Bühne der Schiffsverkehr-Shows nicht wirklich unter Wasser stehen wird. Regisseur Corbijn („Control“, „The American“) plant übrigens einen Krimi mit Grönemeyer in der Hauptrolle.
17.5.
Herbert Grönemeier „Schiffsverkehr“ (Tour-Start)
20 Uhr, East Belgian Park, Lonzen (BE)
Karten gibt es im Kapuziner Karree
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