Von Dirk Tölke
Muse, Modell, Malweib, Künstlerin, so könnte man die Entwicklung weiblicher Kunst abkürzen und müsste noch Salonleiterin, Sammlerin, Galeristin, Restauratorin, Kunstwissenschaftlerin und Kritikerin ergänzen. Die Hälfte der Menschheit hat es auch in der Kunstszene schwer, in einer von Männern dominierten Welt Anerkennung und Akzeptanz zu finden, weil polare Weltbilder, zweifellos übernommene Argumentationen historischer Autoritäten und religiöser Fundamentalismus-Vorurteile stabilisieren.
Auch die Errungenschaften der französischen Revolution (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit) sollten nicht für Frauen gelten. Viel zu verlockend die politischen und religiösen Ideen einer gottgegebenen oder natürlichen Ordnung, die in vielen Gesellschaften die Unterdrückung der Frau als wirtschaftliche und bequeme Rollenvorstellung einrichten und Frauen geringeren Wert zuschreiben. Besitz einer Seele, Denkfähigkeit, körperliche Kraft, psychische Kontrollfähigkeit, Ausbildungschancen, freie Berufswahl, Wahlrecht, Wert von Hausarbeit und gleiche Bezahlung wurden und werden Frauen erst nach und nach zugebilligt und sind mit Rückschritten auch heute noch nicht durchgesetzt.
Die Forschungen der letzten Jahre zu Künstlerinnen haben gezeigt, das neben Gleichberechtigung und Gleichbehandlung auch Defizite in der Gleichstellung zu verzeichnen sind, weil Institutionen, Kritik und Presse Geschlechtsdifferenzen auch dadurch stabilisieren, dass das nicht-männliche in der Überlieferung schon untergeordnet und ausgegrenzt wird.
In Deutschland war der Lebensentwurf als Künstlerin um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert kaum realisierbar, während Frauen Anfang des 19. Jahrhunderts noch an einer Kunstakademie (zum Beispiel München) studieren konnten. Bis dahin konnte eine künstlerische Berufsausbildung für Frauen in Europa nur in einem kirchlichen, höfischen oder handwerklichen Kontext – etwa eines Klosters, in Adelskreisen oder der väterlichen Werkstatt – durchlaufen werden oder durch Privatunterricht bei Künstlern. Es bildeten sich mit der Gründung des Vereins der Künstlerinnen und Kunstfreundinnen zu Berlin 1867 sogenannte Damenakademien. Einige Impressionistinnen (Berthe Morisot, Mary Cassatt) kämpften mit einem eigenen, teils rollenbedingtem Blick auf die Lebenswelt erfolgreich an zwei Fronten. Rosa Schapire gründete 1916 den Frauenbund zur Förderung deutscher bildender Kunst zusammen mit Ida Dehmel. Letztere 1926 den heute noch existierenden Verband der Gemeinschaften der Künstlerinnen und Kunstförderer e.V. (GEDOK). Künstlerinnen begannen eigenes Format zu entwickeln und unabhängige Wege mit später Öffentlichkeit. Die sich in den 1960er Jahren im Feminismus artikulierenden Attacken gegen das bisherige Rollenbild führt auch in der Kunst neben offensiven Betonungen von eigener Sexualität und Körper-Kunst zu neuen Überlegungen hinsichtlich einer weiblichen Ästhetik. Ab 1975 wurde der Begriff „Gender Studies“ eingeführt und ins deutsche übernommen, um sozialbedingtes Geschlecht (gender) von biologischem (sex) unterscheiden zu können. 1981 gründete Marianne Pitzen in Bonn das Frauenmuseum und 1987 Wilhelmina Cole Holladay in Washington DC. das National Museum for Women in the Arts.
Heute studieren 50 Prozent Frauen an Kunstakademien, aber die Quoten in Kunstmarkt und Museen bilden dies noch nicht ab. Neuere Tendenzen wie Graffiti- und Street-Art sind noch stark männlich dominiert. Nicht die künstlerische Ausdrucksdifferenz, sondern die mangelnde Zulassung und gesellschaftliche Aufmerksamkeit scheint als Hindernis noch immer vorzuherrschen. Technisch arbeiten Künstlerinnen nicht anders, wie das breite Spektrum der Ausstellung zeigt. Recht umfangreich und unvoreingenommen sammelten die Ludwigs gegen den Zeittrend seit Ende der 60er Jahre, selbst im außereuropäischen Bereich, Künstlerinnen und bieten so eine schöne Entwicklungsstrecke mit Katalog. \
Eventuell wieder ab 20.4. bis 13.9.
„Blumensprengungen. Künstlerinnen der Sammlung Ludwig“
Ludwig Forum für Internationale Kunst
50 Jahre
1970 wurde die Neue Galerie – Sammlung Ludwig in der Komphausbadstraße als erste deutsche Kunststätte für Zeitgenössische Kunst gegründet und als Diskussionsort durch ein lebendiges und die Aachener Bürgerschaft herausforderndes, aber von einer jungen Generation begrüßtes Programm von Direktor Wolfgang Becker beseelt, entlang den Berühmtheit erlangenden zeitgenössischen Werken der Sammlung von Peter und auch Irene Ludwig, deren Anteil noch neu zu würdigen wäre. \
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