Von Dirk Tölke
Reist der persönliche Standort der Kunstschaffenden, ihr Stil immer mit, wenn sie Standortbestimmungen durchführen oder lockt der Standort kreativ Neues hervor? Hier stehe ich, ich kann auch anders? Im Kunsthaus NRW in Kornelimünster kann man sich mit dieser Frage beschäftigen, die Kuratorin Elke Kania mit der Ausstellung „You are here. KünstlerInnen aus NRW auf Reisen“ angezettelt hat. Sechs hat sie ausgewählt, die meist, von anderswo herstammend, NRW als Arbeitsort wählten und sich auf Ort und Zeit, Abtei und Corona eingelassen haben.
Der Reisende, der Tourist, der Zugezogene bringt gegenüber dem Sesshaften seine Routine und den vergleichenden Blick mit, der die Unterschiede zu Erfahrungen bemerken lässt, die anderen normal erscheinen. Da muss man nicht aus kultureller Ferne kommen, da reicht schon der Wechsel des Stadtviertels oder Arbeitsplatzes. Erst durch das Aufeinandertreffen von Weltsichten wird das Besondere deutlich, das Selbstverständliche fraglich oder wertgeschätzt. Erst durch andere bekommt man heraus, was in einem steckt, erst durch den anderen Blickwinkel oder andere Gegebenheiten wird man zum Blickwechsel herausgefordert. Beharren, Toleranz, Lernerfolg oder Ablehnung sind die Folge und tragen zur Meinungsbildung, Mentalität und Handlungsweisen bei, die die gelebte Kultur prägen.
In Kornelimünster sind KünstlerInnen versammelt, die nomadisch die Welt erkunden und Spuren hinterlassen, indem sie künstlerisch auf Orte, Aufträge, Themen reagieren. Da die gesellschaftlich diskutierte Mobilität ihre berufliche Erfahrung ist, ihre künstlerische Profession aber die Reflexion und Schaffung von Werken, die Aspekte dieser Erfahrung vermitteln, scheinen sie besonders geeignet, durch ihre Bilder, Fotos, Installationen, Filme und Mischformen zu diesem Thema Aussagen zu treffen, an denen man sich reiben und etwas erhellen kann. Zudem ist es eine junge Generation, deren Ziele, Ängste und gesellschaftliche Erfahrung Neues auch im Blick auf Vergangenes bringt. Die Zukunft hat man im Kopf, der Vergangenheit begegnet man überall.
So hat das Thema Reisen und Mobilität ortsspezifische Forschungen zur Baugeschichte der Abtei des Pilgerorts Kornelimünster zur Folge gehabt. Schautafeln machen Frühtourismusfolgen anschaulich.
Olga Jakob nutzt Reiseprospektseiten aus Wurfsendungen als Farbträger. Auf eine durchlässige Polyestermatte wie ein Wegenetz linear aufgeleimt und abgerissen, bespielt der Reisesehnsuchtsmüll die Raumvorhangleinwand malerisch und recyclingwillig, aber offen und in der Schwebe gehalten.
Anders Geschlossen wirkt das Werk von Volker Hermes, dessen Hidden Portraits nicht erst seit Covid-19 historische Vorlagen digital immanent überwuchern lassen. Die Zeitreise ins 18. Jh. zur Erfindung des Touristenporträts (Batoni) während der Bildungsreise demaskiert die luxuriöse Selbstinszenierung als Retro-Selfie-Maskerade.
Ein sinnlich-klanglich-räumliches Denkobjekt bilden Isabella Fürnkäs 220 hängende, teils rubinrote Glastropfen. Wunsch, Begehren, Sehnsucht als Treiber der Lebenszeitreise.
Ihr Sprachsoundbezug wird bei Amit Goffer undeutbar ambivalent, das irritierend faszinierende des Fremden im Klang, das Unnahbare im Spiegel, der Fernbezug in der Ausrichtung von Pilgerorten.
Unwirklich auch die digitalen Reisen unter Kontaktbeschränkung, die Christian D. Stefanovici mit Sprühlack, Pigmenten und Pastellkreide in düstergrundigen Malereien darstellt. Isolation, Ironie, Internet-Memes, Imagehaftes, Impressionen. Anspielungsreich realistisch.
Evamaria Schaller reist in ihrem Video durch die Abteiräume in Kornelimünster, wo Fallsüchtige als Pilger Heilung suchten. Epilepsie und Besessenheit beschwört sie durch Klang und kontrolliert unkontrollierte Bewegung ihres Körpers. Eindrücklich.
Sechs Räume, die eine Reise wert sind. \
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