Inge Morath war 1955 das erste weibliche Vollmitglied der unabhängigen Fotografen-Agentur MAGNUM (Photos), die, 1947 gegründet, als Genossenschaft im Besitz ihrer Mitglieder ist und deren Fotos selbst vermarktet. Inge Morath kam als Rechercheurin und Redakteurin 1949 zu Magnum, zog 1951 nach London, wo sie Simon Guttman ausbildete, wohl vermittelt durch Robert Capa, der auch bei ihm gelernt hatte und ihr riet, bei Cartier-Bresson Assistentin zu werden, was sie auch tat.
Ihre Eigenständigkeit als weibliche Fotografin verschaffte sie sich allerdings durch die Qualität ihrer Arbeiten, die sie in Ausstellungen und Buchproduktionen unter Beweis stellte. Ihre eigenen Fotografien entstanden mit einer Leica als Schwarz-Weiß-Aufnahmen und in Farbdiapositiven, die neben Auftragsarbeiten entstanden. Drei Phasen werden unterschieden. Bis zu ihrem Umzug nach New York 1962 bediente sie die modernen Illustrierten und Bildbände, in der Bild und Text die gleiche Bedeutung hatten. Große Geschichten und weite Reisen waren von Interesse, die auch in Eigenproduktionen über Spanien (Guerre de la tristesse 1955) oder den Iran (1958) führten. Bis zu den 1980ern beschäftigten sie internationale Projekte in Zusammenarbeit mit ihrem Mann Arthur Miller (In Russia 1969, In the Country 1977, Chinese Encounters 1979) und ein Porträt-Band (1986). In der Spätzeit nahm sie frühe Projekte wieder auf, etwa Russian Journal (1991), die Donau von Quelle zur Mündung zu verfolgen (1995) oder Venedig (2003), die alle drei Bezug nehmen auf eigene Bildfolgen der 1950er Jahre. 2000 erschien ihr wohl bekanntestes Buch „Saul Steinberg Masquerade“ in Zusammenarbeit mit dem Zeichner aus den 50er und 60er Jahren.
Die Ausstellung zeigt Werke aus all diesen Phasen mit Fotos aus China, Iran, Irak, Russland, Ungarn, Rumänien, Spanien, Deutschland, der Donau, New York, London und Paris aus den 50er und 90er Jahren. Dazu kommt eine Reihe von Porträts hochgestellter Persönlichkeiten, bei Filmsets beobachteter Stars (Marilyn Monroe) oder Schriftstellern (Heinrich Böll), die alle nicht als Celebrities inszeniert sind, sondern auf der Straße, am Rande des Sets, als Menschen dargestellt, ohne besonderes Licht, mit hinreichend kompositorischer Hell-Dunkel-Verteilung der klassisch gewordenen Nutzung von Schattenzonen, Staffelung von Bildelementen, Freistellung einzelner Figuren, Sparsamkeit der Bildelemente und witzigen Alltagssituationen. Kein Glamour, nicht mal bei der seitlich fotografierten Audrey Hepburn.
Die Freundlichkeit und Gewandtheit der mehrsprachigen Fotografin mag über den entspannten Kontakt Fotografien von alltäglicher Emotion ermöglicht haben. Nichts Aufgesetztes, nichts spöttisch Erwischtes, keine Schnappschusstrophäen, wie es manche männliche Fotografen als Gesten der Macht, der Sensation, der gesuchten Bloßstellung vorführten (Weegee etwa). Ihr weiblicher Blick mischt etwas Elegisches, Zeitübergreifendes in die vorgefundenen Situationen. Sie duldet Menschen, die sich abwenden, sucht das Alltägliche auf der Straße ohne spannungsreiche Aktionen zu schildern. Es gibt reichlich Siesta und Schlafende, viele Kinder, Frauen bei der Arbeit und im Gespräch oder Tanz sich gesellenden Gruppen ohne aufgesetzte Spontaneität, sondern aus Lebensfreude und Stolz auf eigene Traditionen. In einer Serie zu Österreich (Salzburg und Wien) kommt ein Stadtcharakter vorrangig an barockem figurativem Skulptur- und Architekturkulissenmaterial orientiert zutage, der Gassen nutzt, großzügige Heimeligkeit andeutet und mit Hastenden und Bewohnern ausstaffiert ist, was dem nonchalant bissigen Humor von Paul Flora ähnelt. Hier wird die Tourismuskulisse heruntergedimmt und Klischeehaftes nicht bedient. Darin ähnelt sie auch Lee Miller, die als Kriegfotografin auch eher den Lebensalltag, die Folgen für die Bevölkerung und nicht die Heldentaten und Schlachtrelikte festhielt. Vom Kriegserleben mit Humanismushunger geimpft war auch Inge Morath und passte so in die Magnum-Philosophie.
Des Weiteren fällt auf, dass zahlreiche Fotos Betrachtende zeigen, als einsame Spaziergänger, als beobachtete Beobachter, als Museumsbesucher, als Staunende am Rande. Starren, fixieren, oberflächlich und irritiert in eine Richtung blicken, Verständnis suchend, selten missmutig. Das Sehen der Anderen ist auch so eine vermittelnde andere Darstellungsweise, die nicht den eigenen Blick zum Maßstab macht. (Dirk Tölke)
bis 17.12.
Inge Morath – Fotografien 1944-1998
Fotografie-Forum der Städteregion Aachen in Monschau
Zur Person
Die in Graz 1923 geborene Fotografin, starb 2002 in New York, war 1951 mit Lionel Birch und seit 1962 mit Arthur Miller verheiratet (2 Kinder). Mit den Eltern zog sie in den 1930ern nach Darmstadt und Berlin, studierte dort Romanistik und Sprachwissenschaften mit Staatsexamen und leistet ein Jahr in einem Kindergarten Sozialdienst. Sie flüchtete nach Österreich, war Journalistin in Salzburg und Wien, siedelte vom Fotografen Ernst Haas unterstützt 1949 nach Paris und textete für die Fotoagentur Magnum und kam so zur Fotografie.
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