Ursula Spinner-Ceruttis künstlerisches Universum, das mehr und mehr in ihrem Haus entstand, in das sie sich kunstszenophob, aber artophil zurückgezogen hat, war nicht licht und bunt, weil sie mit freundlich duldsamer Seele ihren Blumengarten ins Haus erweiterte und sich die Welt schön redete, sondern weil sie ähnlich dem Lichtbedarf eines erkenntnisbildenden Mikro-skops genau hinsah und auch die düsteren Seiten menschlichen Gebarens, mit der verzweifelten Milde kombinatorischer Ironie, eingebunden hat.
Sie hat die Welt aus dem Blickwinkel einer gebildeten Hausfrau, Mutter und Künstlerin wahrgenommen, diese Aufgabe vier Kinder lang ernst genommen und doch ihren Freiraum erweitert und ihren eidgenössischen Eigensinn burgherrinnenmäßig bewahrt, so weit es gesellschaftlich ihre Möglichkeiten als 1929 geborene Frau erlaubten.
Verbundenheit der Gegensätze
Äußere Enge wurde innere Weite. Harmonie war kein Thema, sondern das Hier und Jetzt. Situative und konstellative Reaktionen und vor allem Kreativität, Bewahrung der Natur, Nutzung der Lebensenergie zur Schaffung einer Oase.
Als Kind in Zürich vom Großvater künstlerisch unterrichtet und in den 50er/60er Jahren während ihres Studiums von Anglistik und Germanistik in die aufstrebende und lebendige Großstadtintellektualität Zürichs eingebunden, die sie später sehr vermisste, promovierte sie zum Thema Sinn und Gegensinn, wodurch schon ihr Ansatz zur Weltsicht einer Verbundenheit der Gegensätze verfestigt wurde.
Graubunter Alltag
Kein Schwarz-Weiß, keine alleinseelig machende Utopie, sondern graubunter Alltag, in dem alle Kräfte wirken und dem sie collageanalytisch mit den künstlerischen Mitteln eines Haushalts ihre Kreativprotokolle mit der Kraft des Trotzes entgegenhielt, um wachsamen Geistes zu bleiben und die Lebendigkeit nicht zu verlieren.
Mit ihrem Mann, der in den 60er Jahren Anglistikprofessor in Aachen wurde, zog sie nach Aachen und wurde in den 70er Jahren künstlerisch wahrgenommen, als sie genähte Bilder in der Neuen Galerie Ludwig ausstellen konnte – zu einer Zeit, als auch amerikanische Künstlerinnen das als weibliche Kunst vorurteilsbelastete Textile ornamentikdiskutierend wahrnahmen.
Sparsame Mittel, seelenvolle Analyse
Orientierungsphasen zwischen Textil-Pop und unfeministischer Rollenbildbefragung à la Paula Modersohn-Becker. Und immer auch Lyrik und Sprachverdichtung, Wortspiel und das Prinzip der Koppelung des Gleichzeitigen im System Collage, das sich ins plastische Erweiterte und mit Haushaltsresten zur Trash-Art ausweitete.
Angeregt von der gestalterischen Kraft von Eierkartons und Blisterpackungen, gewöhnlichster Malkastenfarbe und dem Informations- und Bildangebot überregionaler Wochenzeitungen, gerannen die ins Haus gelangten Informationen mit sparsamen Mitteln zu Kommentaren einer seelenvoll intellektuellen Analyse und einer sich von Erwartungsdruck befreienden Gestaltung, der es egal war, ob das irgendeine Szene als Kunst akzeptierte.
Leben im eigenen Denkraum
Kinderkram, naives Votivbild nach außen hin, aber in Komposition und Farbwahl, Sujet und Psychologisierung scharfsinnig und bescheiden mit brüskem Willen zur positiven Energie durchgebildet und nicht leidensfrei.
Die armen Materialien und koonsschen Schrillheiten männlicher Kollegen haben schon Kunststatus. Dorothea Tanning, Louise Bourgeois oder Meret Oppenheim werden zäh neu gewürdigt, es bleibt abzuwarten. Ursula Spinner-Cerutti hat ihren Kunstsinn an die künstlerisch aktiven Töchter weitergegeben und einen Kosmos hinterlassen, der als zimmerweite Wohninstallation ein Leben im eigenen Denkraum ermöglichte, zuletzt in Ausstellungen präsentiert und pfiffig als Blow-Ups auf Werbeflächen in die mediale Warenwelt eingeflösst, medial grenzerweiternd, als störrische Lebendigkeit, als Fluss der Bewegung.
Schmunzelsam fordernde Provokation
Kunst, die den Alltag begleitet und zum bildlich entstülpten Denkdekor verdichtet mitformt. Vielleicht wenig Kunstmarkt und wenig Betrachter, aber keine Therapie oder Spielerei, sondern komplexer, aber gestalteter Ausdruck mit schmunzelsam fordernder Provokation.
Alltägliche Kunst, kein Statusobjekt. Arbeit am Mythos Kunst.\ dito
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