Beide Ausstellungen befassen sich mit Innovationen und Interna in historisch zukunftsträchtigem Blick auf den auch für Aachen und Stolberg einflussreichen Industriellen John Cockerill (1790-1840) und auf die bildliche Auseinandersetzung mit der Anatomie. Die beiden Entwicklungsprozesse werden im Rundgang beziehungsweise Themenblock-Parcour dargestellt.
Die Geschichte der Industrialisierung der Region Lüttich anhand der Firmengeschichte um John Cockerill, der 1817 das Schloß Seraing erwarb und zum Firmensitz nebst Eisenwerk umbaute, sowie die Geschichte der bildhaft gewordenen Anatomie umrahmt von zeitgenössisch körperkommentierender Kunst wird mit hervorragender medialer Inszenierung bzw. mit Reflexion einfordernder Gegenüberstellung in den beiden Ausstellungen des Musée de la Boverie aufgezeigt.
Die viersprachige Präsentation zum Lebenswerk des Industriellen John Cockerill und der Entwicklung seiner Firma zum heutigen Konzern (CMI Group) ist etwas für die ganze Familie. Anschauliche Modelle, überwältigende mediale Präsentationen, eingängige Erläuterungen zur Technik- und Sozialgeschichte sind chronologisch und nachvollziehbar auf professionell und didaktisch inszenierten Stellagen wandabgewickelt. Innovation und Durchsetzungskraft dominiert optisch, durchgehende soziale mitarbeiterorientierte Politik vom paternalistischen Familienbetrieb zur konzernierten Betriebsfamilie läuft parallel.
Da ist wirklich erstaunlich viel erfunden worden vom Industriezeitalter zum Computerzeitalter, allein von John Cockerill. Man ist versucht zu sagen, ganz schön viel, wenn man produktive Kriege, Technikfolgen und Wechselwirkungen ausblendet. Niedergang und Wandel alter Techniken, verschwindende Berufe, Energiefragen finden Erwähnung. Leittechniken wie etwa Dampfkraft, Eisenbahn, Motorisierung und Digitalisierung raffen den Beschleunigungsvorgang.
Man gewinnt einen nicht hoffnungslosen Eindruck von den Dimensionen von Großindustrie und den noch zu lösenden Aufgaben unserer Zeit. Die Anatomie-Ausstellung lässt einen zielloser und irritiert zurück, nicht so sehr wegen zerlegten Leibern in Wachs und Ölfarbe, die mitunter wissenschaftlich anschaulich und detailversessen daherkommen, als durch die fordernde Collage der Bildwelten.
Die Innenschau des menschlichen Körpers ist von ekelbelasteter Gewöhnungsbedürftigkeit (wenn man nicht von zahllosen Zombie-
filmen bereits desensibilisiert wurde) und Neugier muss den klassischen ästhetischen Reiz bisweilen einfließender schöner operierter Leiber ersetzen, wieder mal ergötzlichkeitshalber überwiegend von entblößten Frauenkörpern.
Abstrakte Kunst und Mikrofotografie finden formal zueinander. Allein das viele Rot verhindert schon eine blutleere Präsentation. Ein Erfahrungsfeld voller Schnitte, Einblicke und Binnenverhältnissen entsteht und macht aus der Anatomiestunde eine Lehrstunde mit exzellenten Exponaten, deren Einsichtlichkeit in Innereien und malerische Äußerlichkeiten Auseinandersetzung fordert.
Die Ausstellungen gehen noch bis zum 17.9.
John Cockerill
1790 in England geboren, folgte er seinem Vater Willliam, dessen 1797 in Verviers gegründete Textilmaschinenfabrik er 1807 mit seinem Bruder James übernahm, inzwischen als Franzosen. Sie erwarben Schloß Seraing, bald Europas größte Eisengießerei und Maschinenfabrik, gründeten Gruben und Hochöfen (2.500 Mitarbeiter), die zeitweilig dem niederländischen König gehörten. Expansion nach Aachen und Stolberg und Doppelhochzeit mit der Familie Pastor 1813. Tod 1840 auf einer Reise zur Sicherung des durch Belgiens Gründung 1830 krisengeschüttelten Betriebs.
dito
Austellung: John Cockerill
Austellung: Die Anatomie-Stunde
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