Seit einigen Tagen gibt es ein leeres Schaufenster in der Wirichsbongardstraße. Der Second-Hand-Laden der Caritas, fairKauf, existiert nicht mehr. Und das, obwohl Kundschaft vorhanden war und Menschen bereitwillig Kleidung, Deko und nützliche Gegenstände vorbeigebracht haben. Doch am Ende ist auch das Second-Hand-Geschäft eben genau das: ein Markt. Und das hat der Laden zu spüren bekommen.
Von Svenja Stühmeier
Der Verkauf vor Ort war schließlich nicht die einzige Einnahmequelle. Nur etwa 15 Prozent dessen, was beim fairKauf abgegeben wurde, konnten die Mitarbeiterinnen tatsächlich für den Weiterverkauf in Aachen nutzen, den Rest haben sie an große Textilverwertungen verkauft. Der Grund: der schlechte Zustand der Kleidung. Einrichtungsleiterin Nicole Meyr stellt klar, dass es sich keineswegs um schlechte Absichten der Spendenden handelt. „Kleidung wird oftmals aus kurzlebigen Materialien hergestellt“, erklärt sie – Stichwort Fast Fashion. In den vergangenen Jahren hätten Überproduktion und Kleidungskonsum noch einmal so massiv zugenommen, dass selbst die großen Verwertungen in letzter Zeit ausschließlich einwandfreie Ware aufgekauft haben. „Diese Einnahmequelle ist also weggebrochen“, erklärt Meyr. Und ist damit mitten in dem Themenbereich gelandet, der ihr merklich ein Anliegen ist: Klimaschutz.
Die 57-Jährige kennt die beunruhigenden Zahlen. Einige Beispiele: Die Modeindustrie ist laut Greenpeace für zehn Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich, in einem T-Shirt steckt laut Exit Fast Fashion Trinkwasser, das einer Person zweieinhalb Jahre lang reichen würde und schließlich kaufen Menschen in Deutschland pro Jahr im Schnitt 60 neue Kleidungsstücke, von denen wiederum knapp 20 Prozent ungetragen in Schränken liegenbleiben. Ob es Nicole Meyr manchmal frustriert, zu sehen, dass Fast Fashion so erfolgreich ist und das Geschäft mit Second-Hand-Mode schwierig? Hoffnungslos ist sie zumindest nicht: „Wir haben hier eine Chance. Wir als Verbraucher:innen können das wirklich beeinflussen.“
Das unterstreicht auch Michelle Kaever. In ihrem Studium hat sie sich intensiv mit nachhaltigem Modekonsum in Aachen auseinandergesetzt, daraus ist die Initiative „nAChhaltig angezogen“ entstanden. Der Markt mache es aber nicht leicht, Fast Fashion den Rücken zu kehren: „Eine Gefahr ist Greenwashing. Begriffe wie ‚natürlich‘, ‚nachhaltig‘ oder ‚grün‘ sind zum Beispiel nicht geschützt.“ Außerdem produzierten viele Marken mittlerweile 24 Kollektionen pro Jahr, womit alle paar Wochen neue Trends gesetzt werden. Zum Beispiel mit Kleidertauschevents möchte die Initiative einen praktischen Beitrag zum ressourcenschonenden Umgang und zum Umdenken in Sachen Mode leisten. Außerdem betont Michelle Kaever, dass Aufklärungsarbeit wichtig ist, etwa auf dem Instagram-Account von „nAChhaltig angezogen“: Nachhaltige Mode muss ihrer Meinung nach nicht teuer sein und öko aussehen. „Das sind aber Vorurteile, die wir noch häufig hören.“ Genau wie Nicole Meyr wünscht sie sich ein Umdenken: Der Anspruch an Second Hand sollte nicht in erster Linie sein, super günstig zu sein – die Läden müssten sich schließlich auch finanzieren. „Wichtig ist: Ein Teil existiert bereits, es ist noch gut erhalten und verbraucht keine zusätzlichen Ressourcen.“
Zum Beispiel in der Breitseite, Second-Hand-Laden des Wabe e. V., können Kund:innen sich ein eigenes Urteil bilden. Standortkoordinatorin Roxane Döring und Sozialdienstmitarbeiter Sebastian Weever arbeiten dort zusammen mit einem etwa 40-köpfigen Team und bieten nicht nur den Weiterverkauf von bereits Gebrauchtem an, sondern auch kreative Upcycling-Produkte. Das Geschäft hat schließlich die personellen und räumlichen Ressourcen, auch die nicht auf Anhieb brauchbaren Stücke zu verwerten, denn es handelt sich um eine Arbeitsgelegenheit für Menschen in Arbeitslosengeld-II-Bezug. Über diese Maßnahmen finanziert sich das Geschäft zum Großteil.
„Wir imitieren den ersten Arbeitsmarkt“, fasst Roxane Döring zusammen. Die Aufgaben beschränken sich also nicht auf den Einzelhandel. Und das Team versucht in allen Bereichen, den Nachhaltigkeitsgedanken weiter auszubreiten: So nähen Mitarbeiter aus ausgebeulten Tops Tragetaschen, sammeln Shirts, um sie später zu bedrucken oder konzipieren Kollektionen, in denen etwa aus alten Jeans neue Kleider werden. „Wir schauen, was wir an Spenden zur Verfügung haben und überlegen dann, was wir daraus machen können.“ Und wenn Menschen in Not sind und dringend Kleidung brauchen, gibt die Breitseite die leicht abgetragenen Stücke im Nu aus.
Im fairKauf hingegen verteilt sich der Großteil der Arbeit auf Nicole Meyr und ihre Mitarbeiterinnen, die zweieinhalb Stellen abdecken: „Wir müssen die Kleidung annehmen, durchsuchen und unser Sortiment zusammenstellen.“ Ein Aufwand, den sie nicht mehr bewältigen können. Doch glücklicherweise ist das nicht das Ende der Geschichte. Die Kolleginnen stecken schon voll in den Vorbereitungen für ein etwas anders aufgestelltes Second-Hand-Geschäft, das bald seine Türen in Aachen öffnen soll. Gerade sind sie dabei, das Konzept in seinen letzten Zügen auszufeilen.
Instagram: @nachhaltig_angezogen; @breit.seite
Bitte mithelfen
- Kleidung spenden 2.0: Vorsortieren zu Hause erspart den Mitarbeitern viel Arbeit und schont Ressourcen. Gut erhaltene Kleidung geht an den Second-Hand-Laden, Kleidung, die noch in Ordnung ist, in den Kleidercontainer. Kaputte Teile eignen sich nicht mehr als Spende – aber vielleicht können sie umgenäht oder weiterverwendet werden? Ansonsten gehört Kaputtes aktuell in den Restmüll.
- Der effektivste Beitrag zu einer nachhaltigeren Modewelt: weniger konsumieren. Vorhandene Kleidung so lange es geht nutzen, für frischen Wind im Kleiderschrank erstmal Kleidertauschpartys oder Second-Hand-Läden aufsuchen.
- Falls es doch ein ganz bestimmtes Teil sein soll, lohnt es sich, beim Neukauf auf nachhaltige Marken und Siegel zu achten. Eine Siegelübersicht gibt’s zum Beispiel unter www.siegelklarheit.de.
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