Von Sabrina Hambloch
Längst sind Klöster keine weltfernen Institutionen mehr. Dennoch: der Nonnennachwuchs fehlt. Zeitgleich suchen immer mehr Menschen Ruhe und innere Einkehr. Neue Geschäftsmodelle sind notwendig. Wo sich Himmel und (H)erde treffen.
Der Boom der Klöster begann im vierten Jahrhundert und hielt einige Jahrhunderte an. Denn sie boten eine Ausflucht aus Armut und Zugang zu Bildung. Und das nicht nur für Männer. Für Frauen waren sie eine Alternative zur Marter des ewigen Kinderkriegens in Zeiten ohne Familienplanung. Vielmehr als das boten sie ihnen echte Karrieren an. Denn in den Frauenklöstern hatten Nonnen das Sagen. Sah man sie vor einigen Jahren noch häufig im Stadtbild, fragt man sich: wo sie denn heute sind, die Ordensschwestern? Wo ist ihr Platz im öffentlichen Leben Aachens? Deshalb haben wir sie besucht: die Franziskaner-Schwestern in der Elisabethstraße am Aachener Dom.
„Wenn man hier reinkommt, dann geht erstmal die Sonne auf“, strahlt Schwester Christa Maria im Kreuzgang des Schervier-Ordens, den sie grinsend die „ICE-Strecke“ nennt. Die mit einem Plexiglas überdachten Wege bringen die Ordensschwestern trockenen Fußes zu den verschiedenen Häusern auf dem Klostergelände in der Elisabethstraße. Und in der Tat ist hinter der unscheinbaren Pforte der Hausnummer 19, von engen Klostermauern nichts zu spüren. Der luftige, von Rosenranken gesäumte Innenhof des 1845 errichteten Klosters, ist eine Oase mitten in der Aachener Innenstadt.
Seit geraumer Zeit trifft man hier längst nicht mehr nur auf Franziskaner-Schwestern. Neben Studierenden der RWTH, die hier in direkter Nachbarschaft zu den Nonnen leben, gehen auch Sinnsuchende aller Couleur ein und aus. Die Angebote reichen von einigen Tagen Auszeit im „Kloster auf Zeit“ oder den dreitägigen Kurzexerzitien bis zum Freiwilligen Ordensjahr. Das Geschlecht spielt dabei keine Rolle: „Letztes Jahr war ich in einem Kurs zu fünft, zwei Schwestern, ein Polizist, eine ältere Dame und eine Schwester einer anderen Gemeinde.“ Exerzitien sind eine Erfindung des Jesuiten-Vaters, des Heiligen Ignatius von Loyola. Er gründete den Jesuitenorden und mit ihm die strengen Regeln des Ordens.
Und obwohl hier sogar während der Mahlzeiten geschwiegen wird, tue der Austausch zu Beginn und Ende der Exerzitien allen gut, so Schwester Christa Maria: „Das Haus hat sich schon sehr geändert. Wir Schwestern müssen aufpassen, dass wir uns nicht einigeln. Das Klosterleben ist schon ein bisschen eine andere Welt.“ Dass das Kloster in der Innenstadt liege, „sei schon gut“. Jeden Morgen begrüßen die Schervierschwestern Obdachlose und andere Menschen, die sich ein Frühstück nicht leisten können. Die Schervierstube war ein warmer Ort für sie, vor allen in den Wintermonaten. Nun, seit Corona, ist der Ort zu klein für die strikten Auflagen geworden. So gibt es nur noch ein Frühstück „to go“ an der Pforte zum Kleinmarschiertor.
Das alte „Mutterhaus“, erbaut 1435, war zunächst ein Hospiz auf dem Pilgerweg nach Santiago di Compostela. Dann ab 1616 Klarissenkloster, wurde es mit der Säkularisierung durch Napoleon 1802 aufgelöst. 1853 erwarb es Franziska Schervier und gründete hier ihren Orden. Heute leben hier 24 Ordensschwestern. Das heute aus dunklem Backstein gebaute, rechteckige Gebäude nimmt dabei fast den Charakter einer Festung an. Ohne jedoch etwas Bedrohliches zu haben. Dagegen hält der weiße Anstrich des Innenhofs, der die Sonnenstrahlen aufzusaugen scheint. Über die Jahre wurden die Gebäude bunt nebeneinander in den Himmel gebaut.
Dieses Nebeneinander findet sich auch im Zusammenleben mit den Studierenden der RWTH. Die leben zwar auf einer eigenen Etage mit Gemeinschaftsraum, Küche und Waschmaschine, dennoch laufe man sich, so Schwester Christa Maria, die selbst weltliche Kleidung trägt, immer wieder über den Weg. Eine chinesische Studentin treffe sie immer wieder mal in der Klosterkapelle an. Einer Studentin gefiel es gar so gut bei den Schwestern, dass sie auch nach dem Studium wohnen blieb. So lebt sie schon seit über fünf Jahren im Kloster.
Im Zentrum steht für die Schwestern, trotz aller Weltzugewandtheit, das Credo des Hauspatrons, des heiligen Franz von Assisi. Es ist das Credo der Armut und gleichzeitiger Barmherzigkeit. Ein Ideal, das schon Jesus und seine Jünger predigten und lebten. Der Orden der Schervierschwestern wurde 1853 von Franziska von Schervier, einer wohlhabenden Fabrikantentochter gegründet. Bewusst ging sie ohne einen Pfennig Besitz ihrer „Vocation“, ihrer inneren Berufung von Gott nach, und gründete hier den Orden der Armen-Schwestern vom heiligen Franziskus. „Mit nur einem Paar Schuhe für drei Ordensschwestern“, erzählt Schwester Christa Maria.
Doch Tempus fugit - und so ist das alte Mutterhaus längst nicht mehr auf dem neuesten Stand: Nicht barrierefrei - ein Übel für die meist hochbetagten Ordensschwestern, die durchschnittlich 80 Jahre alt sind. Ein kleiner Aufzug bringt uns zu den Schlafzimmern: ein schmales Bett, freundliche orange-gelbe Farben, ein eigenes Badezimmer mit Dusche und WC, ein simpler Schreibtisch. Es gibt nur ein Telefon für den Ernstfall. „Wenn hier jemand stürzt … “, sorgt sich die Generalvikarin. Der Nachwuchs sei ein großes Problem. Sie selbst ist mit 22 Jahren in den Orden eingetreten, der in direkter Nachbarschaft zu ihrem Elternhaus lag. Als Altenpflegerin habe sie mit den Schwestern zusammengearbeitet. Jedoch spürte sie den Ruf aus persönlichen Gründen. Zwei Wochen lang habe sie niemandem etwas gesagt, dann teilte sie ihren Entschluss der Familie mit. Vor Kurzem ist wieder eine Frau mit Ende 60 eingetreten, so Schwester Christa Maria. Eine andere Interessentin, Theologin, ist Mitte 50.
Die Lebensform mache es wichtig, Rückzugsorte zu haben, so Schwester Christa Maria: „Das musst du aushalten können, diese Stille“. Einen Zustand, den jedoch immer mehr Menschen suchen. Nicht nur liturgisch habe sich das Kloster daher gelockert, um 5 Uhr muss hier keiner mehr aufstehen, nunmehr ist es 6 Uhr. Auch einfache Änderungen, wie dass man nun durch die Fenster in den Hof sehen kann, wo früher mattes Glas war – zeigt, wie sehr man sich öffnet und dem Individuum Raum gibt. „Wir haben ja nichts zu verbergen hier.“, so die Franziskanerin. Wer ernsthaft in Erwägung zieht, Nonne zu werden, durchlebt eine mindestens achtjährige Aufnahmezeit. Den Ablauf im Kloster kennenlernen, mit den Schwestern zu sprechen, zu sehen „wie ticken die, wie ticke ich“, erläutert Schwester Christa Maria, sei wichtig, um zu sehen, ob das Klosterleben etwas für einen sei. „Das Menschliche kauft man sozusagen mit ein“, und es sei ja nicht die eigene Familie. Die darf man zwar nunmehr besuchen, und Theaterbesuche mit Freunden, oder wie Schwester Christa Maria „Cats“ in New York einmal sehen, ist gestattet. Doch die Eigenverantwortung liege auch bei der Ordensschwester. Die muss sehen, dass sie ihren Auftrag nicht vernachlässigt. Weltliche Genüsse sind einzugrenzen. Lustig geht es im Kloster dennoch zu. Zum Beispiel, wenn man sich gemeinsam eine Folge der amerikanischen Jesus-Sitcom „The Chosen“ ansieht.
Das Interesse an den klösterlichen Angeboten steigt stark. Weltliche Bedürfnisse und geistliche Sphäre greifen hier ineinander. „Wenn es dir guttut, dann komm!“, lautet hier die Einladung der Schwestern.
Das Ordensjahr, bei dem bundesweit rund 120 Klöster mitmachen, bietet Gelegenheit, das Klosterleben für eine längere Zeit zu erfahren. Es seien durchaus auch Leute dabei, die spüren: „Das könnte etwas für mich sein, die dann eingetreten sind“. Einer Frau, die auf Besuch bei den Schervier-Schwestern war, erging es so. Nun arbeitet sie tatkräftig im karitativen Bereich mit, lächelt Schwester Christa Maria.
Kloster auf Zeit
Das „Freiwillige Ordensjahr“ bietet die Möglichkeit, drei bis zwölf Monate in einer Ordensgemeinschaft mitzuleben, mitzubeten, mitzuarbeiten und mitzulernen. Dabei ist es egal, ob man sich kurz nach der Schulzeit, im Berufsleben oder in der Rente befindet. Spannend für junge Menschen: das Ordensjahr kann auch im Rahmen eines FSJ – eines freiwilligen sozialen Jahres absolviert werden.
Armer Orden
Die Ordensgemeinschaft setzt den Leitfaden der Gründerin Franziska Schervier „Seelen retten – Wunden heilen“ in der heutigen Zeit fort und engagiert sich sozial und seelsorglich für arme Menschen und jene, die am Rande der Gesellschaft stehen. Sie bietet ein Frühstück an, und ist in den Bereichen der Altenpflege, Ergotherapie, in Pfarrgemeinden, im Hospiz und der Exerzitienbegleitung aktiv.
Webseite Freiwilliges Ordensjahr
Webseite Schervier Orden
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