Von Svenja Stühmeier
Traditionelle Rollenverteilungen sind seit Beginn der Corona-Pandemie wieder stärker vertreten, sei es im Job oder in der Familie. Und sie bergen eine Menge Nachteile für Frauen. Das bestätigen Mitglieder des Frauennetzwerks der Städteregion Aachen, wenn sie einen Blick auf die vergangenen Monate werfen.
Mit zwei Umfragen rund um das Thema Homeschooling und Homeoffice hat sich das Frauennetzwerk im Sommer 2020 und im Winter 2021 einen Überblick verschafft (Details dazu am Rand). Grob zusammengefasst kann man sagen: Fast alle Beteiligten haben die fehlenden sozialen Kontakte als gravierenden Einschnitt genannt. Frauen und Mütter fühlen sich stärker belastet und sind unzufriedener mit der Homeoffice-Situation als Männer und Väter.
Das verorten Renate Wallfraff, Sabine Bausch und Ann-Katrin Steibert erst einmal auf der persönlichen Ebene. „Der Austausch mit Freund*innen ist wichtig“, sagt Wallraff. Etwas, das in der vergangenen Zeit massiv weggefallen ist. „Niemand konnte sich zum Quatschen treffen. Die Entlastung fehlt, aber die Arbeit und der finanzielle Druck sind weiterhin da.“
„Momentan befinden wir uns wieder in einer Entspannungsphase“, sagt Sabine Bausch in Bezug auf die Pandemie. „Jetzt sollten Frauen überlegen: Was ist passiert? Wie ist die Arbeitsteilung in der Familie? Was muss sich ändern?“ Unterstützung könnten sie im Rahmen der Frauenbildungswoche des Frauennetzwerks erhalten, in Coachings oder in Selbsthilfegruppen. Auch eine Eltern-Kind-Kur sei eine gute Möglichkeit, nachhaltig Einfluss auf ein ausgeglicheneres Familienleben zu nehmen.
Bei der individuellen Veränderung solle es allerdings nicht bleiben. „Es müssen viele strukturelle Probleme gelöst werden. Aber Frauen müssen gestärkt sein, um Veränderungen zu fordern“, sagt Ann-Katrin Steibert vom dem Deutschen Gewerkschaftsbund.
Neue Erkenntnisse seien das nicht: „Frauen machen mehr Haus- und Sorgearbeit“, sagt Steibert. Sie hat die Umfrage mitgestaltet. Die Auswirkungen seien jedoch deutlicher sichtbar. Konkret bedeute das zum Beispiel, dass Mütter noch immer eher diejenigen sind, die sich um die Kinder kümmern. „In der Pandemie ist die Kinderbetreuung weggefallen, und die ist eng verknüpft mit der weiblichen Erwerbsarbeit“, sagt Sabine Bausch, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Aachen und ebenfalls an der Redaktion der Umfrage beteiligt. „Weibliche Erwerbsarbeit“, das bedeutet häufig auch: Arbeit in Teilzeit oder im Minijob. „In der Umfrage haben fast alle Männer angegeben, Vollzeit zu arbeiten. Bei den Frauen war es nur ein Bruchteil.“ Ihr werde häufiger berichtet, dass Väter zu Hause einen festen Arbeitsbereich hätten, in den sie sich ungestörter zurückziehen könnten. Mütter würden beim Arbeiten dagegen häufig unterbrochen – oder hätten ihren Job mit Beginn der Pandemie direkt verloren.
Dieses Problem wurde auch den Beraterinnen aus dem Projekt „Auffallen“ gespiegelt. Sie sind Anlaufstelle für Frauen, die wohnungslos oder von Wohnungslosigkeit bedroht sind. Behörden waren nicht persönlich erreichbar und die Möglichkeit, zum Beispiel in der Anlaufstelle Café Plattform kurz im Alltag zu verschnaufen, gab es auch nicht. Schul- und Kitaschließungen nähmen vielen Frauen mit Kindern ebenfalls die Möglichkeit, zu arbeiten, gleichzeitig mussten sie Geräte anschaffen, damit Homeschooling überhaupt möglich war.
Was Renate Wallraff aus ihrer Beratungstätigkeit beim Diakonischen Werk weiß: „Die Frauen sind in den letzten 1,5 Jahren an ihre Grenzen gegangen. Daher erkrankten sie auch vermehrt psychisch.“ Dass das keine subjektive Wahrnehmung ist, zeigt der Psychreport der DAK-Gesundheit. 2020 hat die Krankenkasse mehr Fehltage registriert, und die gehen insbesondere aufs Konto von Arbeitnehmerinnen. Unter Pandemie-Bedingungen steigen bei Frauen die Fehlzeiten um drei Prozent weiter an, während sie bei den Männern fast auf Vorjahres-
niveau verbleiben. 2020 wurden rund 355 Fehltage je 100 Frauen verzeichnet, Männer kamen in beiden Jahren auf rund 219 Tage. Insbesondere psychische Erkrankungen haben ein Rekordniveau erreicht: Ein psychischer Krankheitsfall dauerte 2020 etwa 43 Tage, so lange wie noch nie.\
Die Umfrage
29 Prozent der Mütter und 42 Prozent der Väter sagen, die Arbeit zu Hause ließe sich gut mit der Kinderbetreuung verknüpfen. Unzufrieden damit sind 36 Prozent der Väter und 54 Prozent der Mütter.
62 Prozent der Mütter, aber nur 25 Prozent der Väter geben an, dass die Mutter die Kinderbetreuung überwiegend übernommen habe. 26 Prozent der Mütter, aber 57 Prozent der Väter sagen, die Betreuung war gleichmäßig aufgeteilt.
58 Prozent der Frauen und 22 Prozent der Männer befürchten, dass Corona für einen Rückschritt in Richtung traditionelles Frauenbild verantwortlich sein wird.\
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