Heidemarie Ernst beendet im Juni ihre Tätigkeit als Leiterin der städtischen Koordinationsstelle „Bushof und Gebiet“. Im Gespräch mit dem Klenkes schildert sie ihre Erfahrungen der vergangenen fünf Jahre – samt Ausblick auf das, was noch kommen kann.
In ihrem Büro auf der ersten Etage eines Geschäftshauses in der Blondelstraße zwischen Dönerbude und Club schenkt Heidemarie Ernst ihren Gästen erst einmal einen Kaffee ein und sorgt für ein bisschen Wohlfühlatmosphäre im schnöden Zweckbau. Eine Selbstverständlichkeit für die „Bushof-Kümmerin“. Diesen Titel hat sich die Diplom-Sozialarbeiterin mit rund 38 Jahren Berufserfahrung seit der Einrichtung der Koordinationsstelle im November 2018 hart erarbeitet. „Am Anfang wurde ich in meinen acht Stunden Arbeitszeit ganze sechs Stunden angeschrien“, erklärt die 63-Jährige, deren beruflicher Schwerpunkt stets auf Jugendarbeit, Flüchtlings- und Wohnungslosenberatung lag. Die Koordinierungsstelle wurde von der Stadt Aachen eingerichtet, um dem Niedergang des Bushofs entgegenzuwirken. Mit einer konkreten Ansprechpartnerin und viel direkter Kommunikation sollte ein Netzwerk aus Anwohnern, Geschäftsleuten, normalen Bürgern und eben der schwierigen Klientel der Trinker-, Drogen- und Obdachlosenszene auf die Beine gestellt und die Lage rund um den Bushof verbessert werden. Kein leichtes Unterfangen, aber laut Heidemarie Ernst trotzdem eine Erfolgsstory, die in den nächsten Jahren noch weiteres Potential bietet.
Geschätzt 70.000 Menschen sind täglich rund um den Bushof unterwegs – mehr als Dom, Rathaus und sämtliche Kulturstätten zusammen als Besucher aufweisen können. Trotzdem gilt der eigenwillige Bau weniger als touristische Sehenswürdigkeit, denn als sozialer Brennpunkt. Dabei hat der Gebäudekomplex seinen Reiz – nicht nur aus architektonischer Sicht als Inbegriff des Brutalismus-Stils. In den 1970er Jahren sollte eine Stadt in der Stadt entstehen: die größte überdachte Bushaltestelle Deutschlands, eine Tiefgarage in den Untergeschossen, dem oberirdisch verlaufenden Bus- und Autoverkehr ausweichende Fußgängerunterführungen sowie attraktive Wohn-, Büro- und Geschäftsflächen – inklusive eines Aufenthaltsraums für Kinder, damit die Mama in Ruhe shoppen konnte.
Das funktionierte mit Einschränkungen durchaus, bis der Trading-Down-Effekt in der Aachener Innenstadt einsetzte. Die Bushofumgebung – Alexanderstraße, Peterstraße, Komphausbadstraße, Schumanstraße, Promenadenstraße sowie Gasborn – wandelte sich vom vollständigen Angebot mit pulsierendem Leben zu zunehmenden Leerständen inklusive ausbleibender Kundschaft beziehungsweise einer Konzentration von zweifelhaften Angeboten in Form von Billigshops und Spielhallen plus Straßenprostitution samt entsprechender Klientel.
„Es ging hier aber von Anfang an nicht nur um Leerstand, Müll und Suchtkranke, sondern um den gesamten Wandel der Gesellschaft“, sagt Ernst und stellt in diesem Kontext die Frage, wem die Stadt gehöre. Während der Lockdowns verwaiste die Innenstadt weiter. Wer konnte, wich in das Gartengrün des Eigenheims oder zumindest zum Spaziergang oder Outdoor-Fitness in öffentliche Parks aus, durch die Straßen taumelten allein Gestalten ohne Homeoffice, Kernfamilie und Privatsphäre. Auch wenn Heidemarie Ernst viel Verständnis und Empathie für Suchtkranke und Wohnungslose mitbringt, eine Sache hat für sie oberste Priorität – die Sicherheit von Kindern auf ihren täglichen Wegen. Schließlich gibt es mit der Stadtbibliothek gleich hinter dem Bushof einen schönen und wichtigen Aufenthaltsort für Kinder und Jugendliche. Dabei gehe es ihr nicht um Vertreibung, jeder Mensch sei in Aachen willkommen, es sei nur wichtig, dass sich alle im öffentlichen Raum so verhalten, dass andere davon nicht beeinträchtigt werden. Heidemarie Ernst steht mit allen Institutionen und Fachleuten im Sozialbereich in engem Kontakt, gemeinsam wird stetig an Lösungen gearbeitet. So ging sie als erstes dunkle Ecken an, indem die Beleuchtung repariert und erweitert, ein Urinal am Bushof aufgestellt und die Reinigung intensiviert wurde – sogar mit einem eigens entwickelten Putzmittel auf Pfefferminzöl-Basis. „Es ist heller, sauberer und riecht besser, das macht schon viel aus“, fasst Ernst diese ersten Maßnahmen zusammen.
Mit dem Kabarettisten Manfred Savelsberg alias Manni d’r Huusmeäster hat Heidemarie Ernst einen kongenialen Partner gefunden, um ihr ehrgeiziges Bushof-Projekt voranzubringen. „Als Kümmerin kann ich einen resoluten Hausmeister an meiner Seite gut gebrauchen, um hier Ordnung zu schaffen“, sagt sie und lacht. Zusammen haben sie die Bushof-Führungen entwickelt, bei denen Manni mit burschikosem Charme und viel Öcher Witz die Gäste mitnimmt auf eine Tour durch das Viertel. Nach seinen Erfahrungen mit den vorherigen Oberbürgermeistern als Dienstherren weiß er auch von seiner jetzigen Chefin, „Et Billa“, zu berichten. Und bei ihm klingt das, was den geneigten Wutbürger normalerweise zum Schäumen bringt, auf einmal ganz vernünftig: Die Stadt verändere sich nun einmal und gerade sei etwas Geduld gefragt, bis die zarten Pflänzchen Früchte tragen. In der Zwischenzeit gäbe es aber einiges zu entdecken, was man hier gar nicht vermuten würde – von gemütlichen Gastronomiebetrieben und attraktiven Geschäften bis zu architektonischen Kleinoden und grünen Stadtoasen.
Wobei schon ein paar Pflänzchen ihre Wirkung zeigen, sie machen den Koloss aus Beton geradezu „instagramable“: Üppige Blumenbeete und Bambusbepflanzung setzen freundliche Akzente. Überall ist es sauberer geworden – und bunter. Die Unterführung wird als „Stadtsaal“ bespielt – von Filmvorführung bis Mozart-Konzert. Der Aachener Künstler Matthes Straetmans gestaltete die Parkhaus-Abluftanlage mit Motiven vom Couven-Bau des Alten Kurhaus über fliegende Busse bis zur Unterwasserwelt. Die Fischmotive sind nicht zufällig gewählt, denn in der stillgelegten Unterführung wird urbane Landwirtschaft mit Aquaponik (Fisch- und Pflanzenzucht in Kreislaufwirtschaft) und Vertical Farming (vertikale Kultivierung von Pflanzen mit Hydroponikanlagen) betrieben. Auch oberirdisch hat sich bereits vieles im von Heidemarie Ernst initiierten Netzwerk Bushof getan: Die Geschäfte haben sich dank der Interessengemeinschaft Hofmannspief herausgeputzt, der Brunnen an der Hotmannspief lässt neuerdings Trinkwasser sprudeln und im Sommer kann man in einer Kooperation mit der VHS Aachen, der als niedrigschwellige Bildungs- und Freizeitinstitution für alle eh eine besondere Rolle zukommt, am öffentlichen Qi Gong teilnehmen. „Vielleicht stehe ich dann gerade dort als Kranich“, sagt Heidemarie Ernst zum Abschied. Mit ihrem schallenden Lachen im Ohr und dem im Gespräch verbreiteten Enthusiasmus des Dream-Teams Heidemarie Ernst und Manfred Savelsberg wirkt der Bushof beim Heraustreten auf die Straße mit einem Mal viel freundlicher.
Noch lange nicht perfekt, aber auf einem guten Weg. Ganz so, wie die Bushof-Kümmerin sich die Zukunft für ihre Nachfolge vorstellt.
Bushof Historie
1968: Ideenwettbewerb: Siegerentwurf von Siegfried Reitz und Willy Frings für einen Multifunktionsbau als aufgeständertes Gebäude in Sichtbetonbauweise
1973: Eröffnung Bushofsgebäude: drei Bussteige mit sieben Haltestellen, darüberliegend Büroräume (u.a. Volkshochschule Aachen), unterhalb das Parkhaus Couvenstraße (534 Stellplätze)
2013: Stadt Aachen: Auftrag für ein Innenstadtkonzept 2022
2018: Einrichtung der Koordinierungsstelle Bushof
2023: Einweihung des Trinkwasserbrunnens an der Hotmannspief
2023: „Haus der Neugier“. Die Machbarkeitsstudie über die Zusammenlegung der VHS und Stadtbilbliothek bezieht auch den Bushof mit ein. Wie könnte der Ort, bzw. das Gebäude in Zukunft genutzt werden? (Mehr dazu im Juli-Klenkes)
Stadt Aachen - Koordinationsstelle Bushof
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