Die Eröffnung der Schauspielsaison mit Shakespeares Tragödie „Hamlet“ in der Übersetzung von Heiner Müller stellt – ähnlich wie das neue Theater-Logo vor knallgelber Signalfarbe – alles auf den Kopf: Die Schauspieler betreten die leere Bühne, als die Zuschauer noch ihre Plätze suchen. Sie platzieren sich, abgewandt vom Publikum, auf einem Stuhlkreis und beginnen das Stück wie eine Generalprobe: in Trainingsjacke und T-Shirt. Der Text, eh ein schwieriger Brocken, bleibt dabei im wahrsten Sinne des Wortes unerhört.
Das Atmen der Nebensitzenden ist lauter als die Darbietung auf der Bühne. Ohne Bühnenbild und Vorhänge offenbart die Bühne einen funktionalen Raumkörper, der sich für das Hamlet‘sche Theaterstück im Theaterstück anbietet, akustisch aber eine Herausforderung bleibt.
Die Handlung der Rachetragödie – die vom Geist des Vaters geforderte Vergeltung für den Mord am dänischen König und die inneren Konflikte des jungen Prinzen Hamlet hinsichtlich seiner Beziehung zur Geliebten Ophelia sowie seiner Mutter und den Freunden – wird in der Inszenierung von Regisseur Laurent Chétouane und Dramaturgin Kerstin Grübmeyer zu „Playing Hamlet“, bei dem die Sprache vor der Handlung steht. „Mehr Inhalt, weniger Kunst“, wie Elke Borkenstein als Königin es an anderer Stelle sagt. In quälender Zähigkeit entwickelt sich das Stück nach der Pause weiter, ohne wirklich an Fahrt aufzunehmen.
Lord Hamlet bleibt der schlaffe, androgyne Jüngling, der seinen schweren Text in fast autistischer Manier wiedergibt. Seine Haltung passt ebenso wenig zur Figur des rachsüchtigen, mordenden Prinzen wie das historisierende Kostüm mit Bordürenbesatz, an dem sich Hamlet-Darsteller Furkan Yaprak abarbeitet.
Der Neue im Ensemble schlägt sich wacker, genau wie das Publikum, das sich über die wenigen verständlichen, weil bekannten Textstellen („Etwas ist faul im Staate Dänemark“ und das bekannte, mit greinendem Ton mehr gehauchte als energisch gefragte „Sein oder nicht sein, das ist hier die Frage“) ebenso freut wie über die slapstickartige Darstellung des Königsmords. Dass etliche Szenen nicht gezeigt werden, erspart einigen Figuren, darunter der blassen Ophelia (Puah Kriener), deren Sprachduktus für einen winzigen Moment auf den Schwenk zu einer modernen Hiphop-Version – wie es The Sonnet Man seit 2015 umzusetzen weiß – hoffen ließ, den Tod à la Shakespeare. Es lässt das Publikum aber mit mehr Fragen als Antworten zurück.
Auf der Heimfahrt im Bus war diese seltsame Aufführung Thema einer hitzigen Diskussion: Zwei junge Frauen, die der „Hunger nach Kultur – und die günstigen Tickets“ ins Theater lockte, beschwerten sich, dass ihnen die Inszenierung nicht klassisch genug gewesen sei, sie hätten mehr Drama und Action erwartet, halt „Sex & Crime“ wie zu Shakespeares Zeiten. bep
4., 10., 19. (18 Uhr)+25.11., weitere Termine im Dezember
„Hamlet“
19.30 Uhr, Großes Haus, Theater Aachen
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