Ein dunkler Raum, ein Mann auf einem Hocker. Er hat den Kopf gesenkt, während er mit voller Wucht einen Ball auf den Boden knallt. Er blickt auch nicht auf, als er anfängt Textfragmente aufzusagen: „Der Gestalt“… „mit welcher ich“, … „dadurch dass“, „wodurch aber zwar…“. Er wird immer schneller. Wie eine Maschine schleudert er die Worte raus. Blickt immer noch nicht auf. Es wird ein Abend über und mit Heinrich von Kleist werden. Über sein Leben als Außenseiter, genialem Autor, zweifelndem Soldaten, fanatischem Wissenschaftler und seinem rastlosen Streben nach Glück. „Ach!“ ist ein Kleist-Porträt von Neu-Ensemblemitglied Jonas Dumke. Geschickt verbindet er die Lebens- und Liebesgeschichten des deutschen Dichters (1777-1811) mit seinen bekanntesten Werken wie „Der zerbrochene Krug“ oder „Michael Kohlhaas“. Plötzlich schießt sein Kopf hoch. Dumke ist da, in Sekunden auf Hundert. Er spricht das Publikum an. Oder meint er eine fiktive Person? Er fordert zum Duell. Es wird gefochten und gekämpft, geschnaubt und geatmet. „Glauben Sie diese Geschichte?“, ruft er ins Publikum. Dann baumelt ein Mikro von der Decke, das Schwarzlicht flackert und dann wird gesungen. Während sich die Diskokugel dreht, sorgt das anfänglich dünne Stimmchen noch für Lacher. Das Publikum schwankt zwischen Begeisterung und Fragezeichen. Dumke erzählt weiter aus dem Kleistchen Nähkästchen, streut biographische Details, wie seine Liebe zu Wilhelmine (oder war es Hermine oder doch Ulrike?) ein, entwickelt einen getriebenen Kleist, der immer mehr Richtung Wahn abgleitet. Dabei war das Ziel: „Ein Feld bebauen, einen Baum pflanzen, ein Kind zeugen. Ich will Bauer werden. Ein Landmann.“ Wer sagt das jetzt. Der klare Kleist? Der wirre? Eine seiner Rollen. Oder sollte man Werk und Autor vielleicht nicht trennen? Sind sie so verwoben, dass man den einen nur durch das andere versteht und umgekehrt? Oder ist es Dumke, der sich in Kleist so einfühlt, dass er die Distanz verliert?
Am Ende kein Ausweg. Etta James dröhnt durch die Lautsprecher. „At Last…“ beginnt und Dumke zieht in Slow-Motion seine Waffe und drückt ab. Ein Kopfschuss. Im Rhythmus der tiefen Klänge taumelt er in Zeitlupe. Bei „I found a dream that I could speak to“ finden die Füße keinen Halt mehr. Es zieht ihn zu Boden, eine letzte Runde.“You smiled, you smiled…“ Die Füße liegen merkwürdig verdreht. „…and here we are in Heaven“ ruft Etta ihm zu. Das wars also, denkt das Publikum. Aber Geduld. Kleist, äh Dumke hat noch ein Ass im Ärmel. (Kira Wirtz)
„Ach! Ein Kleist-Porträt“
Großes Haus, Theater Aachen
WEITEREMPFEHLEN