Schicht um Schicht stapeln sich die Worte zu einem wuchtigen Gebilde. Gestern und Heute eine Armlänge entfernt, Jahrhunderte, die sich umarmen. Autor Amir Gudarzi baut eine Burg aus Paradoxen, aus Fragmentarischem. Er baut eine Burg aus verschachtelten Gedankenräumen und Zeitsprüngen, wo Banalitäten das Wesentliche umarmen, wo das Schizophrene unserer Gesellschaft, wo die Verbrechen der Geschichte entblößt werden. Die Sprache wird in all ihrer Schönheit und Differenziertheit offengelegt, ihre Macht wird entfesselt, sie wird auf einer explosiven Art entmenschlicht, auf sich zurückgeworfen, langue pour langue sozusagen.
Gudarzi spielt mit uns. Lässt uns sehen, lässt uns nicht nichtsehen. Perfektioniert die Kunst der doppelten Verneinung, lässt uns zwischen Fragmenten umherirren. Bewusst platzierten Klischees ausweichend schlittern wir auf dem glitschigen Boden der Deutungen und Doppelbödigkeiten hin und her und folgen der Transformation, die sowohl die Geschichte als auch das Selbst in einen neuen Kontext stellt und in ein neues Gewand hüllt.
Die Wiege der Zivilisation gebärt heute Asylsuchende, wo einst Gilgamesch die Kosmischen Urgewässer betrat, fließt heute ein Strom aus Flüchtenden. Unter ihnen Er, der flüchtet. Aber auch im verheißungsvollen Westen fließt ein gewaltiger Strom aus Blech, und darin eingequetscht der moderne Nomade, der die Berge mit Stock und Lift okkupiert. Was vor Jahrhunderten das mongolische Heer, das über die Assassinen herfiel, konnte, können wir schon lange, nach uns die Sintflut. Genau das denkt sich der Berg, und lässt die Steine rollen. Bis zu den Füssen der im Daunenmantel des Wohlstandes gehüllten Prostituierten. Aber welch ein Trug, denn unter der wohligen Wärme glänzt käufliche, kalte Nacktheit, die trügt und betrogen wird. Um den Gordischen Knoten dieser Geschichten zu perfektionieren, betreten schwer bewaffnete Sphinxe und ein zu allen (Schand-)Taten bereiter Marco Polo die Weltbühne. Sie alle bereit zu erzählen.
Jenseits jeglicher Allüren ist Er, der gen Westen flüchtet, aufwühlend und rührend, zart in seinem Schmerz, gerade weil Schauspieler Shehab Fatoum auf das Theatralische verzichtet. Mit sanfter Wut und einem schiefen Lächeln werden die Wörter fast teilnahmslos hier, mit voller Wucht dort losgelassen. Als Gegenpart und mit der ihm gebotenen Großspurigkeit präsentiert sich Marco Polo (Torsten Borm) auf seinem Weg in den Osten. Ein überaus dramatischer Kontrast, der sich an manch einer Stelle der Inszenierung offenbart, der jedoch allzu oft unter der Wucht des Zu-Viel-Wollens erdrückt wird.
Regisseur Florian Fischer steckt den Text in ein allzu enges (Deutungs-)Korsett, mehr Freiraum für die Sprache, mehr Mut in der Kunst des Weglassens hätten der Inszenierung gut getan. Das ist umso bedauerlicher, als das Ensemble, das mit Nola Friedrich, Elke Borkenstein und Puah Kriener (Mona Luana Schneider) zu einem geschmeidigen Gefüge wird, die Komplexität des Textes mit Bravour meistert. Gleichwohl bleiben die Figuren in einer diffusen Zweidimensionalität gefangen, das Plakative lenkt vom Wesentlichen ab. Der subtile Humor des Textes wird in Klamauk übersetzt, als würde man dem Publikum so eine Atempause gönnen.
Und doch sollte man sich diesem tiefgründigen Wahnsinn hingeben. Es echot nach, ein Bilderbuch der Reflexion entsteht. Wem das allzu Bunte zu viel wird, kann die Augen schließen und sich der Kraft der Worte hingeben. Und wird belohnt. ek
7., 10., 21. (Nachgespräch im Anschluss) +26.1.
„Die Burg der Assassinen“
20 Uhr, Kammer, Theater Aachen
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