Okay, das war bunt. Das Bühnenbild, die Kostüme, die Musik. Aber auch die Darstellung von Marlina Adeodata Mitterhofer und Furkan Yaprak. Vielleicht ist bunt doch nicht ganz richtig. Besser wäre der Begriff facettenreich. Das diesjährige „Weihnachtsstück“ des Theater Aachen, ein musikalisches Märchen von Katharina Grosch und Malcolm Kemp, hatte es in sich: optisch, musikalisch und inhaltlich. Während auf einer wirklich wunderbaren Unterwasserwelt-Bühne (Sina Manthey) mittig die Musiker um Malcolm Kemp arrangiert sind – natürlich in Meereslebewesen-Outfit und mit Fischnamen – bringen fahrbahre Wände immer wieder neue Bühnenbilder zustande. Mal ist man im Kinderzimmer, dann in einem winzigen Häuschen oder riesigem Schloss. Wie das? Ja ganz einfach: Man muss nur der Ente, Luc Schneider, gut zuhören und seiner Geschichte lauschen. Wenn Schneider in seinem überdimensionalen Enten (oder besser gelben Hühnchen)-Kostüm auf die Bühne stolpert, noch mit sich selbst hadert und sich doch als Showmaster gibt, ist es um die Kinder samt elterlicher Begleitung geschehen. Es wird gelacht und geklatscht. Natürlich nicht nur über oder besser mit der Ente, sondern auch mit dem anfänglich streitenden Geschwisterpaar Mara und Kai. Kai ist müde, Mara nicht. Mara will kämpfen, Kai nicht. Kai ist ruhig und besonnen, Mara eher gar nicht. Aber ehe dieser Streit noch weiter aus dem Ruder laufen kann, „verwandeln“ sich die beiden in den Fischer und seine Frau Ilsebill. Hier setzt das Märchen ein. Der Fischer, der mit seiner Frau in einer armseligen, als „Pissputt“ bezeichneten Hütte lebt (die kleinen Zuschauer fallen vor Lachen über die sich wiederholenden „Pissputt“-Rufe fast vom Stuhl), angelt im Meer einen Butt.. Angeblich kann er Wünsche erfüllen. Der Fischer wirft ihn zurück ins Meer. Das missfällt der Ilsebill, sie hat nämlich ziemlich viele Wünsche. Also wird der Butt gerufen. Mit „Manntje, Manntje, Timpe Te, Buttje, Buttje, in der See“. Aber das wird nicht nur gerufen, es wird gesungen und gefühlt. Wunderbar Benedikt Voelmy als singender Butt am Haken und die beiden Opernsängerinnen Jelena Rakić als Krabbe und Irina Popova als alles übertönende Flut.
Das Märchen – ursprünglich ein plattdeutsches Stück – wurde auf diversen deutschen Theaterbühnen gespielt. Am Theater Aachen bekommt die Bühnenadaption nicht nur ein farbenfrohes Bühnenbild, sondern auch eine zeitgenössische Interpretation der Beziehung zwischen Mann und Frau sowie die Abkehr vom Gedanken, nur die Frau könne habgierig sein. Zum einen wird auch Kai vom Fischer zur Ilsebill, brüllt genau wie sie nach immer, immer mehr.
Und außerdem wird hier jedem ab sechs klar: Der Fischer hätte der Ilsebill ja auch einfach ihre Wünsche abschlagen können, statt alles wörtlich zu erfüllen, und so jeder Auseinandersetzung mit ihr aus dem Weg zu gehen. Die beiden Darsteller wechseln geschickt von Rolle zu Rolle, geben jeder ihren eigenen Charakter, ja sogar eine eigene Stimme und Körperhaltung; aber das Wichtigste: es bleiben die beiden Kinder, die eine Geschichte erleben. Pissputt hin oder her, Ente da oder nicht, große Hütte oder Etagenbett: Die zwei sind Geschwister, die zusammenhalten, auch, wenn sie mal nicht einer Meinung ist. Dafür, aber natürlich auch für Gesang, schauspielerische Leistung, Kostüm, Bühnenbild und Inszenierung gab es bei der Premiere tosenden Applaus.
Eine Sache vielleicht als gut gemeinter Rat an die Eltern: Stellen sie von Anfang an klar, dass selbst bei den besten Nähkünsten ein Karnevalskostüm a la Krabbe, Butt, Ente oder Flut nicht an Sina Mantheys wundervolle, fast schon real anmutende Vorlage herankommen wird. \ Kira Wirtz
„Vom Fischer und seiner Frau“
Großes Haus, Theater Aachen
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