Die positive Meldung gleich vorweg: Aktuell lernen wieder mehr Kinder schwimmen, nachdem die Anzahl der Kinder, die nicht schwimmen können, in den letzten Jahren dramatisch angestiegen war, was auch in der Region zu folgenschweren Badeunfällen führte. Jürgen Karl, Leiter des DLRG-Bezirks Aachen, zählt mehrere Ursachen dafür auf, dass sich nach einer im Auftrag der DLRG erstellten Forsa-Umfrage von 2022 der Anteil der Nichtschwimmer unter den Sechs- bis Zehnjährigen im Vergleich zu 2017 auf nahezu 20 Prozent verdoppelt habe: Das seien noch Auswirkungen der Corona-Zeit, Schwimmhallen waren lange geschlossen, es fanden keine Schwimmkurse statt. Seit der Wiedereröffnung gibt es zu wenig Hallen, zu wenig Schwimmzeiten und zu wenig ausgebildetes Personal.
Nahezu alle Aachener Schwimmhallen sind bis in die Abendstunden ausgebucht, zumal seit der Flut 2021 auch in der Region etliche Schwimmhallen fehlen. „Eine Schwimmhalle rechnet sich wirtschaftlich nie, vor allem jetzt bei den horrenden Energiepreisen, aber der Wert der öffentlichen Schwimmhallen ist gesellschaftlich gesehen unbezahlbar“, meint Karl und führt fort, wie wichtig es sei, dass Kinder und Erwachsene sicher schwimmen und die Gefahren im, am und auf dem Wasser einschätzen können. Das bis 2028 laufende Landesprogramm „NRW kann schwimmen! Schwimmen lernen in den Ferien und in der Freizeit“, setzt das bewährte Angebot fort, den Schwimmunterricht durch Ferienschwimmkurse zu ergänzen.
Für Jürgen Karl ist die „Wassergewöhnung das A und O“, in den Familien, in denen die Eltern nicht schwimmen können, entwickelten Kinder meist auch keine Wasseraffinität, was dann im Schwimmunterricht nach (knappem) Lehrplan nicht mehr aufgefangen werden könne. Bei vielen Familien gehören Schwimmen und Freizeitspaß im Wasser aus religiösen oder kulturellen Gründen nicht zum Lebensalltag. „Selbstüberschätzung und Leichtsinn können vor allem in Badeseen tödlich enden“, sagt Karl und verweist auf die Arbeit der neun DLRG-Ortsgruppen, die auch die Wasserrettungsstation Woffelsbach am Rursee betreiben.
Von April bis Mitte November ist die Station an Samstagen und Sonntagen sowie an den Feiertagen und in den Sommerferien NRW besetzt, in den Sommermonaten (15. Mai bis 15. September) sind DLRG-Rettungsschwimmerinnen und Rettungsschwimmer zusätzlich an den vier Strandbädern (Beach Club Eifel in Eschauel, in der Woffelsbacher-Mitte, am Eiserbachsee in Rurberg und im Naturerlebnisbad Einruhr e.V.) vor Ort. Für Jürgen Karl bergen der Rursee, aber auch die zahlreichen Baggerseen der Region ein nicht zu unterschätzendes Risiko: das Wasser ist auch im Hochsommer meist nur oberflächlich erwärmt, misst es an der Oberfläche 21 Grad, kann die Wassertemperatur ein wenig tiefer schon auf 8 Grad sinken.
Zu den Kernaufgaben der DLRG gehört daher neben der Schwimm- und Rettungsschwimmausbildung auch die Aufklärung über Wassergefahren und der Wasserrettungsdienst. Die fundierte Ausbildung ist ein wichtiger Faktor, um Menschen für die ehrenamtliche Tätigkeit beim DLRG zu gewinnen. Die Rettungsschwimmausbildung für jedermann dient dazu, sich selbst und andere Menschen zu retten, dabei stellt regelmäßiges sportliches Training die körperliche Leistungsfähigkeit sicher. Jürgen Karl lacht, als er von den rettungssportlichen Wettkämpfen erzählt, schließlich spiele neben dem Vergleich der Leistungsfähigkeit auch die Geselligkeit eine große Rolle. „Bei uns sind alle willkommen!“, betont der durchtrainierte Rettungsschwimmer, denn aktuell kommen auf rund 3.000 Mitglieder nur rund 100 Mitglieder mit migrantischen Wurzeln. „Da wünschen wir uns auf jeden Fall noch mehr Interessenten, schließlich steht das Thema Sicherheit beim Baden und Schwimmen immer an erster Stelle – und zwar für alle.“ Zu den ergreifendsten Momenten seiner langen Tätigkeit als Rettungsschwimmer gehörte 2022 der Tod von drei Kindern am Eiserbachsee, sie alle waren Nichtschwimmer.
Sicherheit im Wasser bleibt für Jürgen Karl der springende Punkt: „Schwimmen muss idealerweise in der Grundschule gelernt werden und die Eltern müssen vor- und mitarbeiten. Die Kinder sollen früh die Angst vor Wasser verlieren und tauchen lernen.“ Mit einem breiten Lächeln im Gesicht erzählt er von „den gefühlt 100.000 Freunden im Grundschulalter, die mich aus den Kursen kennen und meinen Namen rufen, sobald sie mich sehen.“ Spürbar stolz erzählt er: „Die DLRG ist mega breit aufgestellt, wir bieten für Ehrenamtliche kostenlos die Fachausbildung Wasserrettungsdienst und Erste-Hilfe-Kurse an. Das Wichtigste ist der Teamgeist und das Bewusstsein, etwas Sinnvolles zu tun. Die Jugendgruppen organisieren sich beispielsweise selbst, das läuft hervorragend, erst kürzlich war unsere Bezirksjugend in Wien.“
Zu den Aufgaben der DLRG am Rursee gehört auch die Wasseraufsicht bei Wassersportkursen wie Segeln, Rudern, Paddeln, Surfen oder Stand-up-Paddling sowie bei den von den verschiedenen Clubs veranstalteten Regatten und dem „Integrativen Segelcamp“, das für viele Kinder zu den Highlights im Sommer gehört. Die DLRG spielt auch eine wichtige Rolle im Katastrophenschutz und arbeitet eng mit den Behörden zusammen, um im Ernstfall schnelle und effiziente Hilfe zu leisten: Der Bezirk Aachen stellt zwei Katastrophenschutzeinheiten, die mit speziell geschulten Einsatzkräften bei Hochwasser, Starkregen oder Überschwemmungen professionell agieren können, indem Motorrettungsboote, Wasserretter, Einsatztaucher und Strömungsretter bereitgestellt werden. „Da unser Einsatz aber nicht im Rettungsgesetz verankert ist, gibt es keine offizielle Freistellung“, benennt Jürgen Karl eines der aktuellen Probleme. Bei der Frage, was es brauche, um auch in Zukunft die Wassersicherheit in der Region zu gewährleisten, wird der DLRG-Leiter nachdenklich.
Für ihn ist bereits jetzt die Kapazitätsgrenze erreicht, es fehlen Hallen und qualifizierte Ausbilderinnen und Ausbilder, um Kinder und Erwachsene mit Wasser vertraut zu machen und ihnen sicheres Schwimmen beizubringen: „Das ist eigentlich eine politische Frage, man sollte meinen, dass es im Interesse aller sei, das eine solch wichtige Fähigkeit wie Schwimmen auch allen ermöglicht wird.“ Vielleicht ist eine Gruppe Kleinkinder mit Schwimmflügelchen nicht so prestigeträchtig wie ein Fußballverein, aber einer so seenreichen Region wie der Euregio Maas-Rhein stünde die umfassende Schwimmausbildung von Kindern und eine starke Wasserrettung gut. Die DLRG ist jedenfalls bereit, ihren Part dabei zu erfüllen, sagt Jürgen Karl und verabschiedet sich, auf ihn wartet der nächste Kinderschwimmkurs in der Südhalle.
Schwimmkurse (Auswahl):
DLRG Ortsgruppe Aachen e.V.
Kursangebote: Rettungsschwimmabzeichen (Bronze, Silber, Gold sowie Juniorretter), Schnorcheltauchabzeichen
aachen.dlrg.de
Wasserwacht Stadtverband Aachen – DRK
Kursangebote: Rettungsschwimmabzeichen, Rettungsfähigkeit für Lehrkräfte
drk-sv-aachen.de
Aix-la-Sports e.V.
Kursangebote: Nichtschwimmerausbildung für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, Kurse bis zum Deutschen Schwimmausweis in Gold
aix-la-sports.de
Hochschulsport RWTH
Kursangebote: Schwimmen Level 1-5, Rettungsschwimmen
hochschulsport.rwth-aachen.de
Stadtsportbund
Schwimmoffensive Aachen
sportinaachen.de/schwimmoffensive-aachen
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