Von Lutz Bernhardt
„Der OB ist allzeit präsent. Zwei- oder gar dreimal findet sich sein Foto in den Tageszeitungen. (…) Ansonsten ist auf die CDU kein Verlaß mehr. Man weiß einfach nicht mehr, woran man ist.“
Es macht Spaß, einen Text mit einem 28 Jahre alten Klenkes-Zitat beginnen zu lassen – vor allem, wenn es vorzüglich auf die Gegenwart zutrifft. Ja, angesichts dieser Zeilen muss selbst der damals amtierende OB Kurt Malangré lachen. Und er bestätigt am Telefon: Heute gäbe die CDU tatsächlich ein wirres Bild ab. „Aber das sei ja auch ein Zeichen dafür, dass sich was bewegt.“
Die 16er Gruppe
Da hat er recht, der Ehrenvorsitzende, aber ganz Aachen fragt sich: In welche Richtung? Selbst eingefleischte CDU-Kritiker aus anderen Lagern haben es schwer, das Ausmaß der Selbstdemontage griffig zu kommentieren. Sie stehen ebenso staunend vor den Zuständen in der Fraktion, wie viele CDU-Mitglieder, die sich in den Bezirken zunehmend fragen, ob ihre Repräsentanten im Rat eigentlich noch richtig ticken. Es wurde so viel desavouiert und intrigiert, so viele Werte im zwischenmenschlichen Umgang verraten, dass für manche altgediente Ratsherrn schon jetzt feststeht: Für diesen Club lasse ich mich nächstes Jahr nicht mehr aufstellen. Club? Ja, der Argwohn hat einen Adressaten: die 16er-Gruppe.
Da gehen 16 von 28 Fraktionsmitgliedern hin und zielen mit einem Abwahlantrag auf den Kopf des Fraktionschefs, Harald Baal. In einer Demokratie ein vielleicht seltener, aber dennoch nicht ungewöhnlicher Vorgang. Dann wird die Fraktionsgeschäftsführerin Caroline Herff zum Abgang gedrängt. Weil ja das Vertrauensverhältnis in das Führungsteam angekratzt ist.
Auch da ließe sich sagen: Ja, für einen Neuanfang braucht es neue Leute. Und dann wird dem Koalitionspartner zwei Tage vor der entscheidenden Ratssitzung eine Abstimmung serviert, die die längst mit der neuen Fraktionsspitze verhandelte Personalie für das Kultur- und Bildungsdezernat ablehnt. Dazu lässt sich nur sagen: Das gab es im Rat noch nie. Zwangsläufig kündigten die Grünen die Partnerschaft. Mit so wenig Verbindlichkeit ist für sie kein Staat mehr zu machen.
Der Anfang vom Ende
Erst Baal, dann Herff, dann die Grünen – die Streichliste hat ein Geburtsdatum. Als am 10. März eine Mehrheit der Aachener gegen die Campusbahn stimmte, war das für ein gutes Dutzend CDUler das Trompetensignal zum Sammeln gegen General Baal, der die Truppe in einen Kampf geschickt hat, der nicht der ihrige war. Da wackelt er wieder, der grüne Schwanz mit dem schwarzen Hund, raunte es durch die Reihe: „Dieses Grünen-Projekt, was hat das mit uns zu tun? Was bringt uns das?“
Die Ohrfeige der Bürgerschaft saß. Jetzt wurde Unmut laut, der seit Monaten schlummerte. Beobachter konnten schon in den Ratssitzungen erleben, wie während der monologartigen Wortmeldungen des Fraktionsvorsitzenden zur Tramtrasse unter den eigenen Kollegen Blicke getauscht wurden. Bahn, Fahrrad, Windrad – Themen der letzten Zeit, grüne Soße, da entgleisen manchem Konservativen die Gesichtszüge. Wie gesagt: „Was hat das mit uns zu tun?“
Andere Frage: Warum habt Ihr Euch im Wahlprogramm von 2009 für „die Vision einer weitergehenden Schienenverkehrsplanung in gleicher Technik wie die Campusbahn“ entschieden? Und warum habt Ihr dann am 10. Dezember 2012 als Fraktion mehrheitlich für die Campusbahn gestimmt? Baal-Gegner wollen aus der Distanz wahrgenommen haben, dass da auch Drohungen eine Rolle gespielt haben könnten. Baal-Vertraute sagen: Vielleicht ist er kein guter Kommunikator – ganz sicher aber keiner, der derart den Knüppel auspackt.
Schlechtes Bild
Die „wilde 16“ gibt ein schlechtes Bild ab, von Anfang an. Sitzungen werden konspirativ organisiert, Lagerbildung forciert, indem nur Gleichgesinnte an den Tisch geholt werden. Unklar sind die wirklichen Gründe: Baal und die Grünen sind die Übel, die es loszuwerden gilt, das ist der kleinste gemeinsame Nenner – eine politische Linie gibt es aber nicht. Die Treiber des Prozesses haben Namen: Maike Schlick, Ralf Otten, Iris Lürken. Sie setzen gezielt auf den Bruch. Vermittlungsversuche von Ratsherr Joseph-Hubert Bruynswyck – er hat nicht gegen Baal unterschrieben –, werden abgelehnt.
Die mahnende Stimme der Kreisvorsitzenden wird schlicht ignoriert. Zu Aussprachen soll es gar nicht erst kommen. Ein Termin, der vom Oberbürgermeister Marcel Philipp höchstpersönlich vorgeschlagen wurde, wird kurz danach wieder abgesagt. Angeblich nach Schlicks Absprache mit: Kurt Malangré.
Frage: „Herr Malangré, sind Sie als Ehrenvorsitzender am aktuellen Geschehen beteiligt?“ Antwort: „Ich vermute ja. Da stehen nun Aufräumarbeiten an und ich mische mich ein, jetzt verstärkt.“
Es scheint zu passen, dass sich die heterogenen Opponenten nun einen erzkonservativen Fixstern suchen. Die alte Grünen-Phobie und die Angst, als CDU zu wenig Profil zu zeigen, sitzen tief. Malangré formuliert sehr deutlich: „Als ich damals (Anmerk. d. Redaktion: bei den Koalitionsverhandlungen) zugestimmt habe …, ich glaube, ich habe mich da vertan.“ Unnachgiebig, hart und wenig substanziell kämpften die Grünen für ihre Vorstellungen, sagt Malangré. „Es hat nach außen den Anschein, dass politische Interessen hier auf Stellenbesetzungen hinauslaufen.“
Was stimmt?
Ist das so? Tatsache ist, dass nicht ein einziger Antrag der CDU in den vergangenen vier Jahren von den Grünen abgelehnt wurde. Tatsache ist weiter, dass sich die CDU durchaus mit Themen durchgesetzt hat, die den Grünen grundsätzlich ein Dorn im Auge sind: Stichwort „Gewerbesteuer nicht erhöhen“. Tatsache ist, dass es eine einvernehmliche Einigung über das Vorschlagsrecht bei der Besetzung des Kulturdezernats gab. Und Tatsache ist, dass die Koalition doch das größte Stück des Weges ergebnisorientiert gearbeitet hat.
Für Maike Schlick, die neue Fraktionsvorsitzende, gab es schon den ersten Denkzettel: Äußerst knapp nur wurde sie in der Burtscheider Mitgliederversammlung im Juni als Delegierte für den nächsten Kreisparteitag gewählt. Für die Stadtgesellschaft, die auch in Aachen zunehmend wacher auf ihre politischen Eliten schaut, wird wie bei Shakespeare das Tableau menschlicher Unzulänglichkeiten im Puppentanz um die Macht freigelegt. Sie wird sich ihren Teil denken, von der Großstadt-CDU. ///
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