Von Christina Rinkens
Draußen ist es kalt, auf dem Tisch stehen Kekse und Bananenchips. Kaffee und Tee sind auch schon fertig, getrunken hat noch keiner etwas. Abdoulaye wollte warten, bis alle am Tisch sitzen. Das gehöre sich so, sagt er.
Erst seit Anfang des Jahres ist Abdoulaye aus Guinea Teil der Familie. Teil des Lebens im gemütlichen Haus im Vaalserquartier, unweit von Wald und niederländischer Grenze. Seit siebeneinhalb Monaten ist Abdoulaye überhaupt erst in Aachen, nach zweijähriger Flucht aus seiner Heimat Guinea, die ihn über Spanien und Belgien nach Deutschland führte.
Kennengelernt haben sich die Familie und Abdoulaye nur indirekt über eine Paten-Organisation. Seit September 2015 wollte sich die Aachenerin Eva für Flüchtlinge engagieren, für minderjährige unbegleitete, die keine bis wenig Integration in Aachen erfahren. „Man darf nicht vergessen, dass es in jeder Familiengeschichte schon einmal Flüchtlinge gegeben hat.“
Ihre Familie war sofort einverstanden. Administrative Probleme machten die Kontaktherstellung schwierig, über seine Lehrerin lernte Eva dann Abdoulaye kennen. Das erste Treffen fand im Hotel Baccara statt, Abdoulayes Zuhause in Aachen. Mit zwei weiteren Jugendlichen teilt er sich dort ein kleines Zimmer.
Familienanschluss
Mehrmals in der Woche sieht man sich nun. „Er muss mal mehr reden. Als ich den Test gesehen hab, war ich tief beeindruckt“, meint Cara (13). Abdoulaye schmunzelt. „Der Test ist um die Welt gegangen“, murmelt er auf Französisch. Gemeint ist ein Deutsch-Test, den Abdoulaye letzte Woche geschrieben hat. Alle sind begeistert von seinen Deutschkenntnissen nach nur sieben Monaten. Besonders Lesen und Schreiben fällt ihm leicht. Mit dem Reden macht es Eva ihm vielleicht ein bisschen zu leicht, sie spricht hauptsächlich Französisch mit Abdoulaye.
Cara gibt Abdoulaye einen kleinen Zettel, drauf steht die Nummer von Alpha. Ebenfalls ein Jugendlicher aus Guinea, der jetzt auf Caras Schule geht. Vielleicht eine neue Freundschaft. Bei möglichst vielen Terminen ist sie dabei. Aber Eva lässt ihr freie Hand: Alles kann, nichts muss. Beim ersten Treffen war Cara dabei. Nach einem Besuch im Hotel, waren sie am Kármán, später im Labyrinth. Seitdem wurde viel unternommen: Zusammen den Rosenmontagszug schauen, Evas Mann Levon war mit Abdoulaye Schlittschuh laufen.
Viel Zeit wird aber im Haus verbracht. Jeden Freitagabend wird gemeinsam gegessen. Danach oft gespielt: Mühle, Dame, Scrabble. Die Wörter, die beim Scrabblen gelegt werden, schreibt sich Abdoulaye auf. Um sie später zu lernen.
Immer dabei an diesen Freitagabenden sind auch Levons Sohn Julian (13) und seine 76-jährige Mutter. Omi Ute gibt Abdoulaye wöchentlich zwei Stunden Englischunterricht. Die pensionierte Lehrerin hat ein Lehrbuch für Jugendliche besorgt, um den Unterricht für ihren fleißigen Schüler interessanter zu gestalten. Besonders schätzt sie, mit wieviel Freude, Respekt und Ehrgeiz Abdoulaye lernt. Und dass er immer pünktlich ist. Julian und Abdoulaye spielen am gemeinsam auf dem Tablet. Gerade stehen Racing- und Fußball-Spiele hoch im Kurs.
Kennenlernen und Verstehen
Abdoulaye steht auf, kümmert sich um die Befeuerung des Ofens. Es ist nicht mehr genug Holz da, das geht er draußen holen. Als er sich wieder setzt, springt Coco, die Katze der Familie, auf seinen Schoß. Ein weiteres Familienmitglied, das einen Narren an ihm gefressen hat.
Letzten Monat haben sie gemeinsam Abdoulayes 17. Geburtstag gefeiert. „Unser erstes Fest“, meint Eva. Es gab Essen und Trinken, es wurde gesungen. Für Abdoulaye sei das alles ungewohnt gewesen, ganz verlegen habe er in der Türe gestanden. „Alle haben gelächelt“, erinnert er sich und lächelt seinerseits.
Zum Geburtstag bekam er ein Fahrrad geschenkt. Fahrrad fährt er aber gerade nicht. Draußen ist es Abdoulaye noch zu kalt, in Aachen sei es jeden Tag kalt. Weitere gemeinsame Aktivität in Zukunft: Schwimmen lernen. Und Waschen. Letzten Sonntag haben Eva und er einen Waschsalon gesucht. „Dass die sonntags geschlossen sind, musste ich auch erst mal lernen.“ Abdoulayes Klamotten wurden ihm im Hotel schon geklaut. Wenn man so wenig besitzt, gibt man auf das, was man hat, besonders Acht.
Mit 18 wird er sich eine eigene Wohnung suchen müssen. Bei seinem Freund sieht er gerade, wie schwierig das ist, wenn man in einem fremden Land ganz alleine auf der Suche nach einer Bleibe ist. „Abdoulaye, wir werden Dir dabei helfen, wenn es so weit ist.“
Es ist allerdings ungewiss, ob er für immer in Aachen bleiben kann. Seine Chancen stehen nicht gut. Alles was er tun kann, ist, sich bestmöglich zu integrieren, seinen Schulabschluss zu machen und einen guten Ausbildungsplatz zu finden. Er muss seine Chancen nutzen und mit ein bisschen Glück die richtigen Leute kennenlernen.
Eva ist es wichtig, dass Abdoulaye Deutschland auch über Gleichaltrige kennenlernt. Weil sich die Bedürfnisse dann eher überschneiden. Am Wochenende geht er mit Cara, Alpha und ihren Freunden in Aachen aus. Etwas, das er erst kennenlernen muss.
Da sein
Jede Familie solle komplett selbst abwägen, wie viel Zeit sie einem Jugendlichen widmen kann. „Das, was man leisten kann, ist Gold wert“, sagt Eva. Überhaupt Kontakt zu Deutschen, eine helfende Hand. Wieder Vertrauen aufbauen. Das ist schon genug.
Bei der Verabschiedung wird nochmal bestätigt, dass es am Freitagabend Lasagne geben wird. Abdoulayes neue Leibspeise. Für ihn geht es jetzt zurück ins Hotel Baccara. Er muss noch einen Text lesen. Weiter Deutsch lernen. Das gehöre sich so, sagt er. \
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