Obwohl man die meisten Protagonisten aus „Keine Atempause – Musik aus Düsseldorf“ kennt, ist man nach der Lektüre doch erstaunt, welche Strahlkraft diese mittlere Großstadt am Rhein doch im Vergleich zu den Oberzentren Berlin, Hamburg und München aufwies. Geschweige denn Köln. Die uns Rheinländern sympathischere Stadt hatte in jener Epoche wenig Vergleichbares als Kreativzentrum einer Musikszene zu bieten.
Vergessen wir kurz mal Kraftwerk. In Düsseldorf begann alles mit dem Ratinger Hof am Rande der Düsseldorfer Altstadt. Unzertrennbar verbunden mit Carmen Knoebel, die sich nach der 70er Jahre Szenekneipe „Domino“ mit dem „Ratinger Hof“ eine zweite Gastronomie an den Hals lud, die mit ihrem neuen Gestaltungskonzept – hell, neonröhrenweiß und relativ karg möbliert – schnell zum Treffpunkt für künstlerisch Randständige (Punk, Teds, Studierende und Profs der nahen Kunsthochschule) wurde. Die ersten Punkbands aus England spielten ihre ersten europäischen Festlandgigs (Wire, XTC, 999) im Ratinger Hof. Bodo Staiger (Neu, Rheingold), Jürgen Engler (Die Krupps), Frank Fenstermacher, Kurt Dahlke (Der Plan u.a.), Ralf Dörper (Propaganda), Peter Hein/Xao Seffecheque (Family 5, Fehlfarben), Campino (Toten Hosen) Robert Görl & Gaby Delgado-Lopez (DAF), Martina Weith (Östro 430)… alle verkehrten im Hof oder lernten sich hier kennen. Hier begann die Karriere von Bands wie Male, ZK, S.Y.P.H. und Mittagspause, bevor es dann unter anderen Namen erfolgreich – für die Toten Hosen bis heute – weiterging.
Aber auch Fotografen wie Richard Gleim, bekannt unter dem Künstlernamen ar/gee gleim holten früh die Atmosphäre im Hof mit der Kamera ein. Seine Fotos kommen jetzt regelmäßig in die frisch gegründete „Spex“, er nimmt 1982 mit einer Fotoausstellung an der documenta 7 in Kassel teil und sein Fotobuch der Szene, „Guter Abzug“, verkauft sich ohne Verlag einzig über Independent-Plattenvertriebe 5.000 mal.
2001 veröffentlichte Suhrkamp den erfolgreichen Doku-Roman „Verschwende deine Jugend“, nicht nur ein DAF-Titel, sondern neben Hamburg und Berlin setzte sich Autor Jürgen Teipel hier vor allen Dingen mit der Szene um den Ratinger Hof auseinander.
Was in den 90er Jahren nicht mehr rund um den Ratinger Hof passiert – er schließt 1989 seine Türen – , entwickelt sich als Hybrid aus Düsseldorfer Kunst- und Electroszene dann in Orten und Projekten wie dem „EGO Club“, dem „Salon des Amateurs“ oder dem hobbypopMUSEUM weiter. Der Unique-Club und das Unique-Label um DJ Henry Storch holt Düsseldorf, ähnlich wie in Hamburg der Mojo Club, auf die Landkarte für Soul und Funk und verwandte Dancefloor-Spielarten. Der Medienhafen wird zum Bermuda-Dreieck für Freunde von House und Techno.
Künstler/Bands wie Hauschka, Kreidler, Mouse on Mars, Stabil Elite oder die als Hosen-Epigonen erfolgreichen Broilers bleiben neben der ansässigen Kunstakademie feste Größen im Düsseldorfer Kulturleben und beweisen, dass die Landeshauptstadt Inspiration und Innovationskraft behalten hat. \ rm
Sven André Dreyer/
Michael Wenzel/
Thomas Stelzmann:
„Keine Atempause –
Musik aus Düsseldorf“
Droste Verlag
192 Seiten, 25 Euro
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