Auch wenn sich dieses einfühlsam geschriebene Buch über eine zweimal lebenslänglich verurteilte Frau, die im verzweifelten Affekt ihren Stalker erschlug, wie eine Fast-Autobiographie lesen mag, es ist keine. Die Autorin Kushner – der Roman stand auf der Shortlist für den National Book Award und gewann 2018 den französischen Prix Médicis Étranger – schafft es hier auf herausragende Weise, ihre ausgiebigen Recherchen im Milieu des Knastvollzugs für lange oder lebenslänglich verurteilte Frauen in einen Roman zu extrahieren, der beim Leser gleichermaßen Wut, Verzweiflung und auch Sympathien für viele dieser Frauenschicksale aufkommen lässt. Kushner bewegen diese absurden Zahlen, die belegen, dass die USA, die fünftgrößte Wirtschaftsmacht der Welt die höchste Armutsquote hat und dass dieser Staat zwischen 1980 und 2003 23 neue Gefängnisse gebaut hat, was die Anzahl eingesperrter Frauen um 700 Prozent hochschnellen ließ.
Romy Hall, 29 Jahre, Mutter eines kleinen Kindes, ist zu „zweimal lebenslänglich plus sechs Jahre“ verurteilt worden. Sie wird ihren Jungen, der anfangs bei ihrer Mutter unterkommt, nie mehr wiedersehen. In vielen Rückblenden, die auch ihre Mit-Insassinnen, den Stalker, einen mordenden Polizisten sowie einen früheren Freund mit einbeziehen, zeichnet Kushner effektvoll in großartige Sprache gebettet, die Spirale, die unweigerlich nach unten führt. Die intelligente Romy Hall hätte es eigentlich auch ins Studium schaffen können, ein liebloses Elternhaus, das falsche Viertel in San Francisco, die falschen Freunde weisen in ihrer Jugend leider den anderen Weg.
„Ich bin ein Schicksal“ zeigt realistisch das Zusammenleben mehrerer Frauenschicksale in diesem Hochsicherheitstrakt. Sexualiät, Rassismus, der verzweifelte Kampf die Oberhand zu behalten, aber andererseits auch der Selbsthilfe-Ethos, das Eingehen von emotionalen oder zweckmässigen Bündnissen zeichnet sie in klarer, teils brutaler Sprache.
Rachel Kushner hat bereits mit ihrem Debüt „Flammenwerfer“ und folgend „Telex aus Kuba“ bewiesen, dass ihr kein Sujet fremd ist. Die 51-Jährige gehört mittlerweile zu den besten us-amerikanischen Romanciers. Nicht umsonst dankt sie als gute Schülerin dem literarischen Schwergewicht Don DeLillo für seine Unterstützung. \ rm
Rachel Kushner: „Ich bin ein Schicksal“
Rowohlt Verlag,
397 Seiten,
24 Euro
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