Engelbert Humperdincks Oper basiert auf dem gleichnamigen Märchen der Gebrüder Grimm, ist jedoch leicht abgeändert und dadurch deutlich sozialkritischer als die Urfassung. Die Familie des Besenbinders leidet Hunger. Als die Mutter von der Arbeit nach Hause kommt und merkt, dass Hänsel und Gretel ihre Pflichten nicht erfüllt haben, schickt sie die Kinder zum Beerenpflücken in den Wald. Als der Vater heimkommt, beginnen beide sich Sorgen zu machen und gehen auf die Suche nach ihren Kindern, denn sie haben von der bösen Hexe im Wald gehört. Derweil werden Hänsel und Gretel von der Hexe eingefangen, schaffen es aber listig, diese in den Ofen zu stoßen, wo sie verbrennt. Alle anderen verschwundenen Kinder werden wieder zum Leben erweckt und die Familie feiert ein glückliches Wiedersehen.
Ewa Teilmans bringt Hänsel und Gretel in märchenhaften, aber nie übertrieben sentimentalen Bildern auf die Bühne. Sie zeigt deutlich die prekäre Situation der Familie auf, indem sie beispielsweise in einer Traumsequenz die Kinder von einem warmen, von Glück erfülltem Heim träumen lässt, wo alle mehr als genug zu Essen haben. Und gleichzeitig verzaubert die Regisseurin mit zauberhaften, phantasievollen Bildern, welche die Zuschauer ins Märchenreich locken. Dabei unterstützt wird sie mit wundervollen Kostümen (besonders Sandmännchen und Taumännchen) und einem von Andreas Becker phänomenal entworfenen Bühnenbild, das sich rasant vom Heim in den dunklen, furchteinflößenden Wald wandelt. Die Personenführung ist besonders gelungen und detailliert konzipiert: Da stimmt jede kleine Mimik und sitzt jede Geste auf den Punkt. Das Ensemble dankt es Ewa Teilmans mit überbordender Spielfreude.
Kazem Abdullah begeistert in seiner zweiten Opernproduktion fast noch mehr als in seiner Premiere. Souverän führt er das Sinfonieorchester durch Humperdincks vielschichtige Partitur. Er dreht mit den Musikern auf, wenn es passt, und lässt so die phantastische Musik Humperdincks schillern und strahlen; und er nimmt den Klangkörper zurück, wenn es darum geht, das Sängerensemble einfühlsam zu begleiten und nie zu überdecken.
Der Herbst ist eine problematische Zeit fürs Theater: die Erkältungskrankheiten steigen – wie auch im Alltagsleben der Zuschauer – dramatisch an. Da die Erstbesetzung bei der Premiere und in den Wochen zuvor krank war, sang die Zweitbesetzung, die ein mehr als adäquater Ersatz war, vor allem Maria Hilmes als spitzbübiger Hänsel mit schön geführtem, warm timbrierten Mezzo. Camille Schnoor gab zwar eine mädchenhafte Gretel, ihre dunkel gefärbte Stimme passte vom Klang aber leider nicht besonders zur Rolle. Bei der dritten Aufführung feierte doch noch die Erstbesetzung Premiere und wusste zu begeistern. Jelena Rakic als Gretel und Astrid Lourenço als Hänsel sind darstellerisch und sängerisch zusammen ein perfektes Geschwisterpaar. Sanja Radisic, bereits eine betörende Carmen, gibt eine spielerisch und sängerisch spitze aufgelegte Hexe und kassiert Extrabeifall, ebenso wie Hrólfur Saemundsson als Besenbinder Peter, der einmal mehr seine stimmliche Klasse unter Beweis stellte. Auch der Rest des Ensembles und der wunderbare Kinderchor des Theater Aachen ließen keine Wünsche offen. /// Tanja Sprungala
1., 12., 19.12., 19.30 Uhr
23. 12., 15 Uhr
25.12., 18 Uhr
„Hänsel und Gretel“
Bühne, Theater Aachen
Karten bei KlenkesTicket
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