Von Kira Wirtz
Das Theater Aachen hat sich in seiner neuen Produktion unter der Regie von Bernadette Sonnenbichler Bertolt Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“ vorgeknöpft. Thema: Konflikt von Moral und Überleben sowie der Versuch, ethische Grundsätze allen wirtschaftlichen Umständen zum Trotz aufrechterhalten zu wollen. Zwar bereits im Jahr 1943 uraufgeführt, hat es 2012 nichts an Aktualität verloren.
Die Handlung
Drei Götter sind auf der Erde unterwegs. Sie wollen beweisen, dass es dort auch gute Menschen gibt. Die Suche scheint ausweglos. Doch dann führt sie ihre Reise in die Elendsviertel von Sezuan. Da die Götter müde sind, versucht der Wasserverkäufer Wang verzweifelt, eine Unterkunft für die Götter zu finden. Doch keiner will ihnen helfen. Nur die Prostituierte Shen Te bietet den drei Göttern ein Nachtquartier. Und schickt sogar ihren Freier nach Hause
Als die Götter am nächsten Morgen von Shen Tes Geldsorgen erfahren, bezahlen sie für ihr Nachtquartier ein kleines Vermögen, mit dem Shen Te einen Tabakladen kauft. Sie verspricht, sich ab sofort nur noch wie ein guter Mensch zu verhalten. Doch schnell wird sie eines Besseren belehrt.
In der kapitalistischen Gesellschaft verbraucht sie fast ihr gesamtes Geld, um den Armen zu helfen. Der Tabakladen quillt fast über vor Betrügern und falschen Freunden, die sie übers Ohr hauen wollen. Shen Te weiß sich nicht anders zu helfen als in brenzligen Situationen in die Rolle ihres geldsüchtigen Vetters Shui Ta zu schlüpfen. So entflieht sie dem Gutmenschsein.
Götter, Tabakladenbesitzer, Wasserträger. Klingt zunächst nicht nach modernem Wortschatz und einer modernen Geschichte. Aber der erste Eindruck täuscht. „Man darf nicht denken, nur weil das Stück fast 70 Jahre alt ist, sei es verstaubt.“ Bernadette Sonnenbichler, die bereits zum sechsten Mal am Theater Aachen Regie führt, ist Feuer und Flamme für Brechts Klassiker. „Die Figuren sind alle aus Fleisch und Blut, facettenreich und haben eine unglaubliche Spielkraft. Und außerdem wird die Frage ,Was ist Menschlichkeit?‘ niemals unmodern.“
Heute wie damals
Schon in Brechts Vorlage steht Sezuan bildhaft für jeden Ort an dem kapitalistische Ausbeuterei herrscht. Und so könnte eben auch der Beruf des Wasserträgers in der heutigen Zeit für jeden eher unbeliebten, schlecht bezahlten, mühseligen Beruf stehen. Und der Besitzer des Tabakladens für jede Art von Geschäftsgründung.
„Die Protagonisten könnten die Leute bei mir um die Ecke sein,“ sagt Sonnenbichler.
Die Kostüme sollen eher einfach und zeitgenössisch gehalten werden, und auch der Spielraum ist nur minimal ausgestattet. Dadurch haben die Darsteller allen Platz der Welt, der Parabel Raum zu geben. „Eins zu Eins-Bebilderungen in Inszenierungen liegen mir nicht. Da kommt mir Brechts Idee von einem nicht illustrierenden Bühnenbild gerade recht.“
Jeder Schauspieler – außer Emilia Rosa de Fries, die die Doppelrolle Shen Te/Shui Ta spielt – hat drei bis vier Rollen. Die musikalische Leitung des Stücks übernimmt Ludger Singer. Sonnenbichler: „Die Musikpassagen sind ein erzählendes Moment. Sie dienen dem Zuschauer als Reflektor und zeigen die Situation auch mal aus einem anderen Blickwinkel.“
Böse, aber wahr
Und diese Situationen sind zum Teil grotesk, lustig und absurd. Vor allem, wenn die vermeintlichen Freunde und Verwandten über den Tabakladen herfallen und anfangen, alles und jeden für sich zu beanspruchen, wird es bitterböse. „Da sieht man mal wieder: Unverschämtheit ist zutiefst menschlich.“
In „Der gute Mensch von Sezuan“ geht es um weit mehr als den Versuch, ein „Gutmensch“ zu sein. Vielmehr stellt sich die Frage: Ist „Gutsein“ realitätsfern? Muss man seine Träume über Bord werfen, um in der Realität zu bestehen? Wann ist etwas menschlich, wann maßlos. Und das alles verpackt in eine seit mehr als 70 Jahren bestehende Parabel mit Witz und Humor.
Und eine Liebesgeschichte gibt es noch dazu. „Wir können gespannt sein“, verrät Sonnenbichler. ///
3., 12., 19. und 26. 1.
„Der gute Mensch von Sezuan“
19.30 Uhr, Bühne, Theater Aachen
theater-aachen.de
Karten gibt es im Kapuziner Karree
(Foto: Wil van Iersel)
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