Berlin. Die Goldenen 20er neigen sich dem Ende. Nur im Kit-Kat-Club regieren noch die ekstatische Lebensfreude und der Sarkasmus über politische Unruhen.
In dieser Zeit reist der amerikanische Schriftsteller Clifford Bradshaw (Alexander Soehnle) an und verliebt sich in die britische Nachtclubsängerin Sally Bowles, gespielt von Ex-No Angel Sandy Mölling, die sich mit blondem Bob und kraftvoller Stimme beweist und von mancher Zuschauererwartung einer zweiten Liza Minelli emanzipiert. Letztere verkörperte Bowles im Jahr 1972 in der gleichnamigen Kinoverfilmung.
Auch Bradshaws Zimmerwirtin Fräulein Schneider ist verliebt und zwar in den jüdischen Obsthändler Herrn Schultz, mit viel Zuneigung und Milde dargestellt von Christine Rothacker und Urs-Werner Jaeggi. Doch eine neue finstere Ära, in der die junge Partei der Nationalsozialisten die Oberhand gewinnt, schleicht sich allerorts in den Alltag.
Ohne üppigen Prunk
Nach Erfolgen wie „Der Mann von La Mancha“ oder „Die Drei von der Tankstelle“ setzt das Grenzland sein anerkanntes Gespür für Musical fort. Regisseur Ulrich Wiggers positioniert den vielfach prämierten 60er Jahre-Klassiker des Duos John Kander und Fred Ebb in einem funktionalen Bühnenbild von Matthias Winkler, in dem das 5-köpfige Orchester unter Leitung von Damian Omansen (Klavier) in großen Fächern hinter und über den Szenen sitzt – und auch mal für Nebenrollen herhält.
Es ist eine Inszenierung ohne üppigen Prunk, episodenhaft erzählt inklusive eines ausnahmslos starken Ensembles. So wie dem elektrisierenden Julian Looman in der Rolle des Conférencier, dem gleißenden Gastgeber des Clubs und ohnehin der ganzen Show, die irgendwie immer weitergehen muss.
Die unabdingbaren Motive von Sexualität, Vergnügungssucht und freier Liebe werden mit der von Marga Render ausgefeilten Choreographie und den fantasievoll, (selbstredend) schlüpfrigen Kostümen von Noelie Verdier publikumsgerecht verpackt.
Zum Greifen nah
Mit seiner unbändigen Club-Kulisse fügt sich „Cabaret“ auf der intimen Bühne des Grenzland ein, fühlt sich geradezu Zuhause, denn schließlich kommen einem die spärlich bekleideten Tänzerinnen (und Tänzer) zum Greifen nah.
Wiggers gelingt es die Thematik der braunen Politik aufkeimend, gar heimtückisch einzuflechten. Erst vor der Pause kommt keiner mehr umher diese zu bemerken, als der erste Akt mit dem Hitlergruß und dem Lied „Der morgige Tag ist mein!“ schließt, eine ganz im Sinne eines national-sozialistischen Volkliedes geschaffene Komposition von Ebb und Kander.
Zurück bleibt ein Publikum, das mit seinem Beifall zögert – weil es längst der Kraft des Cabarets verfallen ist. Zum Finale jedoch: berauschender Applaus für eine fulminante Premiere.\ Sabine Hausmann
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