Es gibt Menschen, die fliegen um die halbe Welt, um Händel zu hören. Donna Leon, zum Beispiel, gehört dazu. Die amerikanische Autorin, gilt als große Mäzenin der Musik des Barockkomponisten. Ein weiterer Verehrer Händels war zu seinen Lebzeiten bereits Benedetto Pamphili, ein profanen Freuden gegenüber durchaus aufgeschlossener Kurienkardinal. Er hatte ein Auge geworfen auf den hochbegabten 22-jährigen Junggesellen aus Sachsen, der sich seit 1706 zu Studienzwecken in Rom aufhielt und die lokale Musikszene gewaltig aufmischte. Für ihn dichtete er unter dem sperrigen und wenig phantasievollen Titel „Il Trionfo del Tempo e del Disinganno“ (Der Triumph der Zeit und der Ernüchterung) einen ebenso sperrigen und zudem leicht moralinsauren Text, der als Libretto für Händels erstes Oratorium dienen sollte.
Der Cast ist mit vier Personen eher überschaubar. Sie verkörpern vier allegorische Figuren, Bellezza (Schönheit), Piacere (Vergnügen), Tempo (Zeit) und Disinganno (Ernüchterung). Die jugendliche Schönheit und das weltliche Vergnügen schwören sich ewige Treue, wären da nicht die Spielverderber Ernüchterung und Zeit, die zur Umkehr mahnen. Und da Seine Eminenz Pamphili seinen Zuhörern etwas mit auf den Weg zum Seelenheil geben wollte, ist klar, man betrachte den Titel, dass es nicht Piacere ist, die das Rennen macht.
Händel gelang trotz seiner jungen Jahre ein großartiges Werk, dessen Bedeutung ihm selbst zweifellos bewusst war, da er im Laufe seines Lebens immer wieder darauf zurückgriff und die schönsten Arien in spätere Opern übernahm. Dennoch gehört „Il Trionfo“ nicht zu den häufig aufgeführten Werken. Umso erfreulicher ist es, dass sich das Theater Aachen in der laufenden Spielzeit zu einer in Szene gesetzten Aufführung entschlossen hat.
Ludger Engels, ein alter Bekannter am Theater Aachen, muss den Auftrag zur Inszenierung als Steilvorlage empfunden haben, seiner Kreativität freien Lauf zu lassen. Der ereignisarme Plot verleiht die nötigen Freiheiten und lädt förmlich dazu ein.
Bühnenbildner Ric Schachtebeck hat Bühne und Zuschauerraum ordentlich auf den Kopf gestellt, einen Catwalk für eine Modenschau kreuz und quer hindurch bauen lassen und an allen Ecken und Enden Beamer und Flatscreens positioniert. Die vier Solisten präsentieren sich als Hipster und Fashionblogger und posten ihre Selfies und Videos live per Smartphone auf die Bildschirme.
Das Sinfonieorchester Aachen spielt unter der hochmotivierenden Leitung von Justus Thorau auf Originalinstrumenten und gibt in dieser Konstellation erneut ein hoch virtuoses, brillantes Beispiel historischer Aufführungspraxis.
Eine Klasse für sich sind die vier jungen Solisten, stimmlich und in ihrer Bühnenpräsenz. Sie vermitteln Spielfreude pur. Suzanne Jerosme gelingen Händels bisweilen gefürchtete Koloraturen in atemberaubender Perfektion und unglaublicher Schwerelosigkeit.
Darstellerisch stark und mit wunderschönem Mezzo der Neuzugang Fanny Lustaud. Händels Megahit „Lascia la spina“, von ihr interpretiert, zum Sterben schön. Große Aufmerksamkeit verdienen ebenfalls die männlichen Partien. Die Reaktion des Premierenpublikums? – Ovationen. \ uh
14., 19. + 29.12.
„Il Trionfo del Tempo e del Disinganno“
19.30 Uhr, Bühne, Theater Aachen
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