Manchmal schreibt sich ein Opernlibretto fast von alleine. Man braucht weder Papier, noch Bleistift oder gar eine Schreibmaschine. Ein Radiergummi reicht aus. Oder ein Rotstift. Zugegeben, ein wenig Vorarbeit ist schon erforderlich. Die hatte für Benjamin Brittens 1960 uraufgeführte Oper „A Midsummer Night’s Dream“ gut dreieinhalb Jahrhunderte zuvor ein gewisser William Shakespeare geleistet. Brittens Lebensgefährte und Librettist, der Tenor Peters Pears, begnügte sich weitgehend mit dem Originaltext und kürzte ihn lediglich von fünf auf für das Musiktheater bühnenreife drei Akte.
Aktuell zu erleben ist die Oper am Theater Aachen in einer Inszenierung des jungen Berliners Dennis Krauß. Der packt drei exzentrische Scheiben auf die munter rotierende Drehbühne, die vom Backstage-Bereich aus in wechselnden Farben illuminiert wird. Ein herausfordernder Parcours für die Darsteller, vor allem für Puck. Sensationell akrobatisch, was Paul Hess als Shakespeare-Revenant hier auf die Bühne zaubert und dabei gleichzeitig fluoreszierende Liebescocktails im Shaker mixt.
Weil Puck ein Kobold ist, stiftet er natürlich auch Unordnung und Verwirrung. Die Kostüme von Clemens Leander helfen beim Sortieren der Liebespaare. Fairy Queen Titania und ihr Gatte Oberon stecken in Strass, Hermia und Lysander sind rot, Helena und Demetrius grün gewandet. Wer bei der Einordnung immer noch Schwierigkeiten hat, schaut auf die farblichen Markierungen der Gesichter oder auf das nette Schema der Liebes(verw)irrungen im Programmheft. Die Elfenschar aus dem präzise agierenden Kinder- und Jugendchor mit ihren venezianischen Masken wecken Assoziationen zur Commedia dell Arte.
Was dabei herauskommt, wenn bildungsferne Tölpel sich der Inszenierung antiker Sagen widmen, zeigen die treudoofen Handwerker um den Weber Bottom. Der tragische Stoff von Pyramus und Thisbe gerät als Oper in der Oper so unfreiwillig zur Komödie. Demetrius’ „Anerkennung“ bringt’s auf den Punkt: „Well roared, lion.“
Musikalisch ist das Werk typisch für Briten, mit sehr individuellen und erstaunlichen Klangfarben. Die ersten beiden Akte muten eher rezitativisch an, der Schlussakt mit deutlicheren lyrischen Elementen. Ungewöhnlich in der Musik des 20. Jahrhunderts ist auch die Stimmlage eines Countertenors für Oberon als einer der Hauptrollen. Christopher Ward am Pult des Sinfonieorchesters Aachen bringt dies alles sehr sicher, souverän und unaufgeregt zu Gehör. Und auch über die stimmlichen Qualitäten der zahlreichen Gesangssolisten ist ausschließlich Gutes zu vermelden. Besonders erfreulich sind dabei die herausragenden Leistungen der Aachener Ensemblemitglieder Suzanne Jerosme (Helena), Fanny Lustaud (Hermia) und Ronan Collett als Demetrius. Große Wiederhörensfreude wird auch durch das erneute Engagement von Larisa Akbari für die Rolle der Titania geweckt. In der gleichen Preisklasse bewegen sich auch Countertenor Thomas Scott-Cowell als Oberon und Joshua Owen Mills als Lysander. Vor der Respekt einflößenden Wucht eines Bassbaritons des buffesken Stephanos Tsirakoglou in der Rolle des Bottom kann man nur erstaunen. Der Schlussapplaus war verdientermaßen heftig und langanhaltend. Ein wenig mehr Publikumszuspruch hätte die Premierenveranstaltung, in der sich erkenn- und hörbar eine große Anhängerschar von Mitwirkenden befand, schon verdient gehabt. Die bevorstehenden milden Frühjahrs- und Sommerabende dürften zudem dem Besuch einer Oper abseits des Mainstreams ebenfalls nicht sonderlich zuträglich sein. \⇥Von Ulrich Herzog
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