Als erstes fällt der Blick auf einen animierten Goldfisch, der mit großen Cartoon-Augen und ausdrucklosem Gesichtsausdruck durch sein Aquarium schwimmt. Noch weiß man es nicht, aber er steht mit seiner gemächlichen Art im Gegensatz zu der rasanten Reise, auf die das neue Ensemble des Das Da Theaters in wenigen Momenten das Publikum mitnimmt.
Der Saal fällt zum Start des Stücks in Dunkelheit, einzig das Telefonat von Banker Oliver, gespielt von Dennis Papst, und einem seiner Kollegen ist zu hören. Oliver steckt im Stau und kommt zu spät zu einem sehr wichtigen Termin, also entscheidet er sich links am Stau vorbeizufahren. Ein Motor heult beim Beschleunigen auf, es kracht furchtbar und nichts ist mehr so wie Oliver es kennt.
Nach einem Unfall ist Oliver querschnittsgelähmt und soll in einem Reha-Zentrum lernen, mit seinem neuen Leben zurechtzukommen. Schnell lernt er die inklusive WG „Die Goldfische“, die Bewohner des Zentrums und ihre Betreuer kennen: Franzi, dargestellt von Nina Rehn, hat Down-Syndrom und einen sehr ausgeprägten „Glamour-Tick“, Rainman (Dennis Hamann) und Michi (Timo Aust) sind Autisten, die mit ihren Ticks für einige Lacher sorgen, sowie die schlagfertige, blinde Magda (Nicola Klik), die gerne mal zum Flachmann greift. Carine Krämer spielt die gutmütige Betreuerin Laura, die überzeugt ist, dass sie mit ihrem Beruf etwas verändern kann. Der zwielichtige Pfleger Eddy, gespielt von Tobias Kulka, hingegen findet Lauras Bemühungen unnötig und die schnippige, regelkonforme Zentrumsleiterin Frau Zschetzsche (Paula Donner) mit ihrem Hang zu Prosecco und Zigarette macht Oliver das Leben schwer.
Der Hitzkopf Oliver will sich nicht mit seiner neuen Situation abfinden und sucht direkt den Weg zurück in sein Bankerleben. Telefonate mit Kollegen und Kunden werden als Videoeinspieler auf den Vorhang der Bühne geworfen oder als Audiostücke eingespielt und bieten der Handlung die Möglichkeit, so auf verschiedenen Ebenen stattzufinden.
Nach einem Telefonat mit seiner Bank in Zürich muss Oliver schnell handeln: Die Züricher Bank hat dem deutschen Finanzamt gemeldet, dass der Banker in der Schweiz ein Schließfach besitzt. Dass sich dort eine Menge Schwarzgeld befindet, ist schnell klar. Dennis Papst zeigt als hitzköpfiger Rollstuhlfahrer sein Talent für schnelle Schlagabtausche, die er sich mit jedem seiner Gesprächspartner liefert. Ein passend rot angelaufenes Gesicht darf dabei nicht fehlen. Er schmiedet einen Plan und zusammen mit den Goldfischen geht es als Tarnung zum Kamelreiten in die Schweiz.
Nina Rehn als witzig-süße Franzi überzeugt direkt von der ersten Szene als angehende „Glamour-Influencerin“, die mit ihrer Aussprache, Mimik und Gestik für das Auge eines Laien die Essenz der Merkmale des Down-Syndroms brillant darstellt. Auch Dennis Hamann und Timo Aust haben ihre Rollen perfekt verinnerlicht und sind kein einziges Mal als Schauspieler aus ihren Charakteren gerutscht. Hamann sorgt mit aus dem Zusammenhang gerissenen Ausrufen von Rainman, die von „Mittwoch“ über „Mamma so, hamma kein Stress“ bis hin zu „Ich bin schwul“ reichen, für einige Lacher. Der non-verbale Michi ist zwar nicht sehr auffällig, zieht aber doch regelmäßig gekonnt die Blicke auf sich – und das nicht nur wegen seines roten Helms. Besonders imposant ist die Kampfszene zwischen der blinden Magda und Pfleger Eddy, der keine Chance gegen die schlagfertige Frau hat. Gemeinsam bringt das Ensemble den turbulenten Ausflug der Goldfische unterhaltsam auf die Bühne.
Das Bühnenbild von Frank Rommerskirchen spiegelt das Aquarium eines Goldfisches wider. Mit Sitzsäcken und beweglichen Elementen lässt sich die Bühne zwischen Szenen schnell von einem Ort zum Nächsten umwandeln. Animierte Videosequenzen von Judith Meyer zeigen, wie der Bus der Goldfische durch das Aquarium fährt und begleitet so die Reise der WG.
Theaterleiter und Regisseur Tom Hirtz präsentiert den Zuschauerinnen und Zuschauern zusammen mit Dramaturgin Maren Dupont sowie dem grandiosen Ensemble eine aufregende Reise zur Liebe, Freundschaft und Inklusion. Mit Standing Ovations und tosendem Applaus bedankt sich das Publikum, in dem auch Mitglieder des ehemaligen Ensembles sitzen, zum Schluss bei der Besetzung. anc
„Die Goldfische“
Do-So, 20 Uhr, Das Da Theater
ZUR INFO
„Cripping up“ kommt aus dem Englischen (crip, das englische Wort für Krüppel und dem Wort up für hoch) und bezeichnet die Tatsache, dass nicht-behinderte Schauspieler Rollen mit Behinderung spielen beziehungsweise sich entsprechend verkleiden und damit in der Vergangenheit meist besonders viel Applaus, Anerkennung, Preise einheimsten.
Das ist seit einigen Jahren eine harsche Diskussion in Theaterkreisen und mit dem Thema sollte sensibel umgegangen werden. An dieser Stelle soll darauf hingewiesen werden, dass sogenanntes „cripping up“ bei den „Golfdfischen“ am Das Da Theater zwar stattfindet, sich aber Darsteller und Theaterleitung im Vorfeld mit dem Thema beschäftigt und über eine inklusives Ensemble nachgedacht haben. Zudem fand im Vorfeld ein Austausch der Darsteller mit Betroffenen im Sinne des Training- und Erfahrungsaustausch statt.
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