Keine Kutsche, kein Pferd, nichts rollt, nichts trabt mehr. Reisende sollte man nicht aufhalten, doch die Vorsehung hält sich selten an Regeln, so müssen die edlen Herrschaften aus acht Ländern ein aufgezwungenes Abhängen im Kurhotel „Zur goldenen Lilie“ bei Madame Cortese über sich ergehen lassen. Auch wenn das nicht nach einem harten Schicksalsschlag klingt, ihr ursprüngliches Ziel, die Krönung Karl X. im schönen Reims, klingt durchaus prunkvoller.
In dieser erzwungenen Flaute also, auf dieser Reise ohne Reise passiert … nichts.
Aber das so irisierend, wie es nur Rossini vermag. Müßiggang auf höchstem Niveau, denn der Maestro lässt die zarten Knospen einer kaum vorhandenen Handlung zu wundersamen Blüten reifen, ein prickelndes Tohuwabohu der weltlichen Nichtigkeiten reift heran und mündet in einer euphorisierenden Ekstase der Stimmen. Im Klartext: ein herrlicher Reigen und Ringen der Diven und Machos.
Regisseur und Bühnenbildner Michiel Dijkema reicht in seiner turbulenten Inszenierung an manch einer Stelle gefährlich nah an die Klamaukerträglichkeitsgrenze, doch vermag er diese Opera buffa ins Intergalaktische zu erheben. Und das wortwörtlich.
Die hölzernen Reisegefährten wurden durch blecherne ersetzt, die in nicht enden wollenden Kolonnen unsere Straßen und letztendlich auch unsere Nerven strapazieren, das Kurhotel enthüllt sich als Reisemobil, statt Hotelpersonal wird die Bühne mit Baustellenarbeitern und bunten Touristenscharen bevölkert. Schon ziemlich cool, ausgerechnet den wunden Punkt des modernen Globetrotters, die verstopfte Autostraße, ins Rampenlicht zu stellen. Statt „Fast and Furious“ bekommt man Stillstand par excellence. Wo aber die Räder zur Ruhe verdonnert sind, werden die Gemüter umso agiler.
Oft nonchalant unter der Gürtellinie, mit leichtem Spott aber fast schon karnevalistischem Frohsinn, es wird gebuhlt und gelitten, intrigiert und gespottet, kleine Eifersüchteleien hier, mittelgewichtige Ressentiments da. Bald ist der Asphalt mächtig rutschig von so viel Seife in der Oper.
Hier wird das Triviale gefeiert, denn sichtbar politisch ist nur die Ampel auf der Bühne. Aber gefeiert wird umso ausgelassener, das Ensemble wirkt entfesselt und bringt eine stimmliche Hochleistung nach der anderen. Und so wie ganz nebenbei, spielen sich die Solisten die Seele aus dem Leib. Es sprudelt und prickelt und der Spaß am Spiel schwappt bei den ersten Tönen zum Premierenpublikum über, das bis zum Ende ausgelassen mitfeiert.
Orchester und Sänger bilden eine brillante Synthese. Während bei manch einer Opernaufführung die Stimmen unter der Wucht der Musik ersticken, werden sie hier förmlich umschmeichelt, in die Höhen getragen. Federleichter Sopran, samtweicher Tenor, kerniger Bass, kraftvoller Alt (in Mezzosopran changierend) sowie ein herausragender Opernchor und Extrachor Aachen auf der Bühne, ein geschmeidiges orchestrales Feuerwerk darunter.
Souveräner Humor ist ein seltenes Gut, bei dieser Inszenierung hätte er eine durchaus dunklere Färbung annehmen können, und dennoch wird hier einiges einer unterhaltsamen Lachhaftigkeit preisgegeben. Große Spötteleien, hier sei nur die Dampfwalze erwähnt, das durch Zartes wütet, befinden sich in jeder Szene. Jenseits der großen Lacher und Offensichtlichkeiten mogeln sich aber durchaus kleine Spitzen ein, private Fehden und nationale Ressentiments hätten etwas mehr Galgenhumor ertragen können, gleichwohl werden sie raffiniert dramaturgisch erhöht, so dass unter dem Strich ein sehr kurzweiliges Vergnügen steht, das jedem Buffo Liebhaber die Herzen höherschlagen wird. \ Enikö Kümmel
4., 7. (19 Uhr)+25.2.
„Il viaggio a Reims“
18 Uhr, Großes Haus, Theater Aachen
WEITEREMPFEHLEN