Bernadette Sonnenbichler wollte untersuchen, wie die Maschinerie Mensch funktioniert. Wollte unter die Lupe nehmen, was passiert, wenn Machtgier und Emotionen miteinander rangeln.
Es ist vor allem das Bühnenbild, das diesen Anspruch widerspiegelt. Ein kolossaler Bau im Nirgendwo. Gefängnis oder Burg, Festung oder Königreich. Die Drehbühne von Jens Burde zeigt die Gesellschaft als Maschine: Groß und grau erheben sich die Elemente wie Stalaktiten aus dem Boden, Scheinwerfer wachen, dass keiner dem Geschehen entfliehen kann, keiner dem Getriebe entkommen kann. Die Bühne dreht sich mit blechernen Klängen, unnachgiebig, immer wieder.
Die Protagonisten des Stücks sind Luise Millerin und Ferdinand von Walter; sie Musikertochter, er Adliger. Die Luise ist die erste Rolle für Emilia Rosa de Fries am Theater Aachen und die junge Schauspielerin geht voll in ihr auf. Die innere Zerrissenheit zwischen der Liebe zu ihrem Vater – hervorragend gespielt von Andreas Herrmann – und der Leidenschaft für Ferdinand steht ihr ins Gesicht geschrieben. Die Unmöglichkeit ihrer Liebe ist für sie gottgegeben: „Der Himmel und Ferdinand zerren an meiner Seele.“ Ferdinand zerrt mit Inbrunst. Robert Seiler spielt einen jungen, rebellischen Major. Ein Ferdinand mit Knarre, durchtrainiert im Ripp-Unterhemd. „Wir spielen mit den Zeiten. Die Mechanismen, die die Menschen beherrschen, sind zeitlos.“ Es stellt sich die Frage, warum Sonnenbichler ausschließlich ihren Ferdinand so krass aus der klassischen Rolle fallen lässt. Sehr stark spielt Seiler, als er seinem Vater (Karsten Meyer) gegenübersteht: Welten prallen aufeinander, übermütige Verliebtheit auf Standesdünkel.
Das ganze Stück hindurch ist Karsten Meyer einer der stärksten Charaktere. Sarkastisch, zynisch, selbstironisch – der Hofmarschall braucht eine Menge Schnaps, um die geplante Intrige zu verkraften, der Präsident reicht den Alkohol wortlos. Zwischen den Stühlen schlängelt sich indes der Haussekretär Wurm entlang. Thomas Hamm glänzt in der Rolle des schmierigen Herren, der die Intrige überhaupt erst ins Rollen bringt. Beklemmend, wie er lautlos immer und überall auftaucht, wie er mal aus einem Bodenloch auf die Bühne gekrochen kommt, wie er Luise mit Gewalt dazu zwingt, den Liebesbrief an den Hofmarschall von Kalb zu verfassen.
Luises Gegenpart ist Lady Milford, mit der Ferdinand eigentlich verheiratet werden soll. Bettina Scheuritzel thront zunächst ganz oben auf der Bühne über Luise, in langem Rock und geschnürter Korsage umgibt sie die Aura von Geld. De Fries und Scheuritzel liefern sich einen erbitterten Kampf – im Laufe einer Szene wird Lady Milford zusehends vom der über alles erhabenen Lady heruntergeputzt zum Opfer gekaufter Liebe.
Sonnenbichler fügt in ihr Schauspiel eine neue Figur ein. Joey Zimmermann taucht zwischendurch als eine Art Moderator immer wieder auf und kommentiert singend das Geschehen. „She’s the beauty and he’s the beast“, „love is a battlefield“ – in weißer Hose und bunten Rüschenhemden.
Sonnenbichler hat mit ihrer Inszenierung von „Kabale und Liebe“ in besonderer Weise die Niedertracht und die Intrigen in Schillers Werk betont. Sie hat das Böse herausgepult aus dem gesellschaftlichen Geflecht bestehend aus Oberflächlichkeit und Machtgier. Das Maschinenhafte des menschlichen Zusammenlebens bringt sie dabei vor allem durch das wuchtige Bühnenbild ins Bewusstsein. Doch bei all dem Lob: Es fehlt dem Stück die Intensität, die von Sonnenbichlers Arbeiten „Die Verwandlung“ und „Törleß“ in Erinnerung geblieben ist. Leicht macht es dem Zuschauer auch nicht die Länge von über drei Stunden.
Text: Barbara Taxhet
Foto: Carl Brunn
1., 6., 8., 14., 23., 31.10., 3. und 26.02., 26.3.
„Kabale und Liebe“
versch. Uhrzeiten, Theater Aachen, Bühne
Karten gibt`s bei Klenkesticket im Kapuziner Karree
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