In den vergangenen Jahren war die Gastronomie stark gefordert: Fragile Lieferketten und Personalmangel belasteten die Betriebe ebenso wie gestiegene Energiekosten, neue Gesetze und undurchsichtige Bürokratie. Es wurde viel über Nachhaltigkeit gesprochen (und geschrieben) und doch wird immer noch viel zu wenig getan, denn in der Gastronomie (Hotels, Restaurants, Gemeinschaftsverpflegung und Catering) muss gleichermaßen bei der Produktion, der Zubereitung und der Entsorgung umgedacht und gehandelt werden. Oder anders formuliert: Umweltschutz muss man auch wollen, gegen den mentalen Widerstand kommen die besten Ideen nicht an!
Die Wirtschaftsförderung Aachen geht das Problem aktuell mit einem neuen Konzept an, um mit dem Aufbau eines – hoffentlich tatkräftigen und beständigen – Netzwerks, die zirkuläre und lokale Lebensmittelversorgung in der Region um Aachen zu stärken. Mit der Unterzeichnung der „Circular Cities Declaration“ haben die Stadt Aachen und die umliegenden Kommunen entschieden, sich zu einem zirkulären Wirtschaftssystem zu entwickeln. Das bis 2025 vom Bund geförderte Projekt „Circular Food Chain“ setzt dort an: Die während des Projekts erarbeiteten Ergebnisse dienen als Grundlage zur Bewerbung für eine Folgeförderung in der Umsetzungsphase 2025-2028. In vier Workshops wurden bzw. werden mit Akteuren aus Landwirtschaft, Lebensmittelhandwerk, Gastronomie und am 10. April aus dem Lebensmittelhandel die aktuellen Bedürfnisse ermittelt, um dann gemeinsam im Mai Lösungsstrategien zu entwickeln. Im Idealfall bedeutet das „Von der Saat bis auf den Teller und zurück“.
Greenpeace veröffentlichte kürzlich, dass durch To-go-Speisen und Getränke rund 770 Tonnen Verpackungsmüll entstehen – pro Tag! Dabei gilt seit 1. Januar 2023 eine Mehrwegpflicht, mit vielen Ausnahmen und Umgehungsmöglichkeiten. Und obwohl bereits Mehrweg-Systeme wie ReCup, ReBowl und Vytal bestehen, entscheiden weiterhin hauptsächlich Preis und Bequemlichkeit. So kostet eine Aluminium-Menübox etwa 18 Cent, die umweltfreundlichere Alternative des Eifeler Unternehmens Papstar aus Zuckerrohr hingegen 28 Cent pro Stück. Als weiteres Beispiel seien die Milliarden aus dem Mittelmeerraum importierten PET-Einwegflaschen mit türkischem, griechischem, italienischem oder spanischem Wasser erwähnt, denn bei den meisten Imbissen und Kiosken ist das Thema Nachhaltigkeit noch Lichtjahre entfernt. Verpackung für das Außer-Haus-Geschäft von Restaurants ist aber nicht die einzige Stellschraube, an der es zu drehen gilt: Die Gastronomie gehört aufgrund der mitunter immensen Mengen zu den problematischen Verursachern bereits ab der Lebensmittelproduktion.
Produktion
In der Gastronomie braucht man tonnenweise Zutaten (Obst, Gemüse, Fleisch, Fisch, Getreide, Fette, Gewürze etc.), die idealerweise nicht nur für’s Marketing aus regionaler – und möglichst auch biologischer – Produktion stammen. Da Gastronomen aber keine Zeit haben, für ein Kilo Möhrchen und ein paar essbare Blüten herumzufahren, um sie auf dem Biobauernhof in ihr Körbchen zu legen (diese Idylle gibt es eh nur in Arte-Kochsendungen), läuft die Warenbeschaffung über Großhandel und Gastro-Lieferanten, wie Metro, My Gastro, Handelshof oder C & C Schnichels in Aachen oder Hanos in den Niederlanden. Die beziehen ihre Ware im Gegensatz zum Lebensmitteleinzelhandel bislang nur zu einem verschwindend geringen Teil aus regionaler Produktion und auch die Saisonalität spielt nur eine untergeordnete Rolle. Innovative Produktionsformen wie die Indoor-Fischfarm von Aixponic versprechen optimierte Haltungsbedingungen und kurze Lieferwege.
Zubereitung
In Großmutters Küche selbstverständlich, heute avantgardistischer Ansatz in der Spitzenküche: die Verarbeitung von Zutaten „From nose to tail“ beziehungsweise „From root to leave“. In der Gastronomie sollte wieder so gekocht werden, dass möglichst alles vom Tier oder der Pflanze verwertet wird. Der Kölner Sternekoch Maximilian Lorenz und die Green Star-Chefs von hummus x hortense in Brüssel machen es vor und setzen auf nachhaltige Zubereitung. Auch Niklas Herpertz von La Goonery geht neue Wege und produziert Garum aus den Resten seiner Dry aged-Fischproduktion in Weisweiler, die den Import von Fischsauce aus Asien ersetzen kann.
Entsorgung
Auf niederländischer Seite läuft aktuell eine „Food Waste Challenge“, bei der Gastronomiebetriebe acht Wochen lang unter Anleitung der Firma WasteWatchers, der Rabo Bank und LIOF, der regionalen Entwicklungsagentur für Limburg, daran arbeiten, die Lebensmittelverschwendung im Unternehmen zu reduzieren. Andere Unternehmen setzen bereits Bio-Konverter ein, die mittels mikrobiologischer Technologien organische Abfälle pflanzlicher Herkunft oder auch biologisch abbaubares Einmalgeschirr zersetzen und das Müllvolumen deutlich reduzieren können. Das Jülicher Start-Up „FlyCycle“ setzt auf Müllreduzierung mithilfe der schwarzen Soldatenfliege und sucht für die Pilotphase den Kontakt zur Gastronomie. Unternehmen wie „Too good to go” setzen bei übrigbleibenden Lebensmitteln, beispielsweise von Frühstückbüfetts in Hotels, an, die per App als Überraschungstüte vorbestellt und zum kleinen Preis erworben werden können.
Ob sich der Gastronomiesektor zukünftig endlich mehr der Nachhaltigkeit verpflichtet fühlt, bleibt derzeit nur zu hoffen, denn auch im Jahr 2024 stecken die Bemühungen noch in den Kinderschuhen. \ Belinda Petri
Randnotiz
Das Prinzip der Nachhaltigkeit wurde erstmals 1713 vom deutschen Kameralisten Hans Carl von Carlowitz in seinem Werk Sylvicultura oeconomica formuliert. Dort ging es während einer Energiekrise (sic!) um forstwirtschaftliche Nachhaltigkeit, lange bevor das erste grüne Parteiprogramm und die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie 2016 verfasst wurde.
Circular Food Chains Aachen
Nachhaltigkeitsportal der Stadt Aachen und der IHK Aachen
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