Chris Hell, David Frings und Frank Schophaus, die zusammen das Aachener Post-Hardcore-Trio Fjørt bilden, haben im vergangenen Jahr viel Zeit auf der Straße verbracht. In der Regel bereift, auf Tour, um mit dem aktuellen Album „Nichts“ Konzerte zu spielen. Aber auch mit dem Flugzeug in Richtung USA haben sich die drei Musiker aufgemacht. Für ein einmaliges Erlebnis. Derzeit setzt die Band ihre Deutschlandtour fort, die im Februar mit einem bereits ausverkauften Konzert im Aachener Musikbunker beschlossen wird. Im Vorfeld unterhielten wir uns mit Gitarrist und Sänger Chris Hell und Bassist David Frings über Glücksgefühle, Authentizität und harte Arbeit.
Ihr seid mit Eurer Musik viel unterwegs. Welche Bedeutung hat das Touren für Euch?
David: Es ist krass, was du unterwegs erlebst. Du hast dir Songs ausgedacht und sie über viele Stunden im Proberaum und im Studio geformt, und dann singt bei einem Konzert jemand deinen Text mit, das ist unfassbar. Wir gehen gerne ins Studio und nehmen auf, aber den meisten Bock haben wir aufs Unterwegssein, wir drei, seit vielen Jahren freundschaftlich verbunden, gemeinsam auf einer Ebene. Wir lieben, was wir tun. Andere finden diese Erfüllung im Tischtennisverein oder im Fußballclub. Wir finden sie in der Musik.
Wie ist es dazu gekommen, dass Ihr im Herbst in den USA aufgetreten seid?
David: Meilensteine in einer Bandgeschichte brennen sich in den Kopf ein. Dieses Erlebnis werde ich mein Leben lang nicht vergessen, weil ich damit ein unglaubliches Glücksgefühl verbinde. Wir spielten gerade in Erlangen, als eine Booking-Anfrage reinkam. In der Nachricht stand: „Hallo Leute, habt Ihr Lust bei ‚The Fest‘ zu spielen?“ Absender war ein Tony (Weinbender, Organisator von „The Fest“; Anm. d. Red.). Wir hatten keine Ahnung, wer das war. Aber „The Fest“ in Gainesville war uns natürlich ein Begriff. Ich habe gesagt: „Lasst uns Urlaub machen, lasst uns dorthin fahren, koste es, was es wolle.“ Wir waren uns sicher, dass das etwas Besonderes für die Band werden würde – und das war es auch. Die Show dauerte 30 Minuten. Volle Möhre Punkrock. Es war ein ekstatisches Erlebnis.
Wie war die Resonanz auf Euren Aufritt?
Chris: Wir sind eine deutsche Band mit deutschen Texten. Unsere Vorstellung war, dass niemand auch nur irgendetwas damit würde anfangen können. Und so haben wir wie immer einfach drauf los geballert – und sehr viel Feedback bekommen. Da gab es Leute, die sagten, sie hätten sich auf unsere Show gefreut. Leute in Florida … Super krass!
David: Es gab für mich einen besonderen Moment, als eine Frau zu mir sagte: „Danke für etwas Neues!“ Wenn du das hörst, dann wird dir bewusst, dass du da gerade mit deiner Musik etwas gemacht hast, was nicht so gewöhnlich ist. Etwas Besseres kann man einem nicht sagen – und dann auch noch so weit weg von zuhause.
Bei „The Fest“ treten mehrere Hundert Bands in unterschiedlichen Locations auf. Hattet Ihr Zeit, das eine oder andere Konzert zu sehen?
David: Das habe ich mehr oder weniger so gefordert (lacht). Ich bin ein Konzertjunkie, ich werde nicht satt, mir andere Bands anzugucken. Also habe ich die Jungs auf Knien angebettelt, zwei Off-Tage einzulegen. Ich bin von elf Uhr vormittags bis drei Uhr nachts durch die Clubs gezogen und habe mich einfach nur treiben lassen.
In Deutschland setzt Ihr nun Eure „Nichts“-Tour fort. Wie waren die Erfahrungen im vergangenen Jahr?
David: Wenn man nach Berlin fährt, nach Köln oder Hamburg, und da kommen mehr als 1000 Fans, dann ist das nicht zu begreifen. Die Leute bringen so eine Energie mit und so eine Dankbarkeit und eine Wertschätzung für das, was wir machen. Es gibt Momente bei unseren Liveshows, da stehen einige mit geschlossenen Augen da, so völlig in Trance. Und du weißt, dasselbe Gefühl auch mal bei einer Band, die du so exorbitant abfeierst, gehabt zu haben.
Wie habt Ihr Euch auf die Tour vorbereitet?
Chris: Über viele Stunden hinweg haben wir uns ein neues Set für die Tour mit Songabläufen, mit Interludes und so weiter überlegt. Wir schnappten uns die Songs, drehten sie noch mal auf links und arbeiteten sie für die Tour um. Wir haben uns den Hintern weggeprobt, weil wir unsere Sachen live bestmöglich spielen wollen. Das ist der Grund, warum ich das alles mache. Das sind unsere Glücksmomente, darin gehe ich auf.
Das letzte Konzert findet in Aachen im Musikbunker statt. Kein Zufall, oder?
David: Mit dem Musikbunker verbinden wir eine unfassbare Unterstützung unseres künstlerischen Schaffens. Dort wird mit all den Proberäumen so viel getan für Musiker und Bands. Gäbe es unseren Proberaum nicht, wir hätten ein richtiges Problem. Lars (Templin, Geschäftsführer des Vereins Musikbunker Aachen; Anm. d. Red.) und sein Team als Unterstützer sind klasse, und deswegen muss das letzte Konzert auch hier sein, damit wir uns bei der gesamten Crew des Musikbunkers bedanken können.
Ihr habt es mit Eurer Musik aus dem Aachener Proberaum raus auf eine internationale Ebene geschafft. Was hat Euch dorthin gebracht?
David: Glück spielt eine große Rolle. Wir haben mal in Hamburg in der Roten Flora gespielt, wo uns jemand von unserem heutigen Label Grand Hotel van Cleef hörte und danach mit uns zusammenarbeiten wollte. Wichtig ist aber auch, dass man nicht müde werden darf, zu arbeiten. Das hört sich vielleicht bescheuert an, so typisch deutsch. Aber wenn du unbedingt eine Tour spielen willst und dir 1.000 Stunden Zeit nimmst, um jedem, der damit zu tun haben könnte, eine E-Mail zu schicken, dann wirst du diese Tour auch spielen können. Dafür braucht es sehr viel Energie. Und diese Energie hatte die Band von Anfang an. Irgendwann sind wir am Europaplatz rausgefahren und haben das dann jedes Wochenende wiederholt.
Chris: Wir sind immer drangebelieben. Wir haben auch noch die hundertste und die tausendste Show gespielt. Wir hatten immer Bock, aber haben auch sehr viel Glück gehabt. Es war die Kombination von beidem, die uns geholfen hat.
Woran habt Ihr gemerkt, dass Euer Weg ein erfolgreicher ist?
David: Es ist nie unsere Prämisse gewesen, größer und bekannter zu werden. Wir verspüren auch nicht den Druck, irgendetwas zu verkörpern. Uns geht es um Authentizität und darum, nur das zu machen, was wir wirklich wollen. Das merken auch die Leute. Wir turnen nicht in den Sozialen Medien herum und feuern ab, was wir den ganzen Tag so Unwichtiges machen. So sind wir nicht, und das schätzen die Menschen wert. Dadurch kommt ein organisches Wachstum zustande.
Ihr probt in Aachen, Ihr wohnt in Aachen. War es nie eine Option, in eine Metropole zu ziehen und dort eine musikalische Heimat zu finden? Euer Label ist in Hamburg ansässig …
David: Da verläufst du dich auch mal schnell …
Chris: Ich glaube, es schadet uns, wenn wir abgelenkt werden. Wir sind am besten, wenn wir uns in unser stilles Kämmerlein zurückziehen können und introspektiv an Songs doktern. Die Band lebt davon, dass wir drei zusammenkommen. Wir sind nicht so die Großstädter, keine Partymäuse, Wir haben zwar Spaß am Remmidemmi auf Tour, aber sind dann auch froh, wenn wir in unser beschauliches Eckchen zurückkommen.
Abseits der Musik geht Ihr alle normalen Jobs nach …
David: Wenn es ums Geld geht, trifft man dumme Entscheidungen. Dann gibt es für ein gesponsertes Konzert eine hohe Gage, und du machst es, weil es dir zwei Monatsmieten bringt. Ich sprach vorhin von Authentizität: Irgendwann ziehen dir solche Entscheidungen den Boden unter den Füßen weg. Wir wollen uns aber künstlerisch verwirklichen und die absolute Freiheit haben. Wenn wir an irgendeine finanzielle Säule gebunden sind, funktioniert das nicht. Unsere Alltagsjobs sorgen dafür, dass das Wirtschaftliche bei unserer Musik keine Rolle spielt.
Euer aktuelles Album „Nichts“ ist eine Weile auf dem Markt. Welche Gefühle verbindet Ihr mit der Platte, wenn Ihr sie heute ein Stück weit aus der Ferne betrachtet?
Chris: Wie bei allen anderen Platten ist es so, dass wir sie in die Hand nehmen und sagen können, dass wir zu 100 Prozent happy damit sind. Die Produktion war, mehr noch als bei den anderen Alben, ein unglaublicher und sehr intensiver, arbeitsreicher Prozess. Wir waren schon so gut wie fertig mit dem Album, als uns die Corona-Pandemie traf und alles zum Stehen kam. So sind viele neue Ideen entstanden, wir haben Pläne geändert, Songs ganz weggeschmissen. Am Ende konnten wir uns doppelt so viel Zeit für die Platte nehmen, was super war, weil Vieles sonst gar nicht entstanden wäre.
Habt Ihr einen Zeitplan für ein neues Album? Wie weit plant Ihr in die Zukunft?
Chris: Je weniger Deadlines, desto besser. Es kann dauern, bis wir so glücklich sind, dass wir sagen, die Platte kann gepresst werden. Wir werden kein Album schreiben, wenn wir es nicht absolut fühlen. Als Musiker bist du immer auf besondere Momente angewiesen, in denen auf einmal etwas passiert. /Von Tim Griese
The Fest
Seit 2002 findet in Gainesville, Florida, „The Fest“ statt, ein mehrtägiges Musikfestival mit Konzerten an diversen Veranstaltungsorten. Mittlerweile ist das Programm auf drei Tage verteilt, rund 350 Bands und Künstler, darunter auch Comedians, treten in mehr als 15 Locations auf. Das Festival steigt immer am letzten Oktober-Wochenende, da zu diesem Zeitpunkt außerhalb der Stadt ein bedeutendes Footballspiel stattfindet, alles dorthin zieht und das dann ausgestorbene Gainesville Platz für viele tausende Musikfans bietet.
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