„Gehen Sie in Caligari. Das Kino ist endlich erschaffen worden.“ Das sagte einst der Komponist Maurice Ravel, nachdem er den heutigen Meilenstein des expressionistischen Kinos gesehen hatte. Die Filmzeitschrift „Licht-Bild-Bühne“ jubelte: „Das Cabinet des Dr. Caligari“ sei „der modernste, aktuellste, gewagteste Film, den die Welt je gesehen hat.“
„Mit dem ominösen Slogan „DU MUSST CALIGARI WERDEN“ war er im Winter 1920 angekündigt worden, mit einer groß angelegten Werbekampagne in Zeitschriften und auf Litfaßsäulen“, schrieb Der „Spiegel“ zum hundertjährigen Jubiläum des Stummfilmklassikers. Heimlicher Star des Films waren die expressionistischen Bühnenbilder der Maler Walter Reimann, Walter Röhrig und Hermann Warm, wobei letzterer forderte: „Das Filmbild muss Grafik werden!“ Mit diesen klaustrophobischen Kulissen gelang dem deutschen Regisseur Robert Wiene ein Erfolg, der sich für ihn nie wiederholen sollte. Ein späterer Versuch mit niemand geringerem als Jean Cocteau, Caligari als Tonfilm neu zu drehen, scheiterte. Caligari erzählt die Geschichte über „einen Schlafwandler, der tagsüber vom zwielichtigen Dr. Caligari als Jahrmarktsattraktion herumgezeigt wird und nachts Morde begeht; in einer weiteren Handlungsebene wird diese Geschichte vom Insassen einer Irrenanstalt erzählt, der ihren Direktor bezichtigt, eben jener Dr. Caligari zu sein.“
Das langjährige Mitglied und Co-Komponist von Kraftwerk, Karl Bartos, hat jetzt dem Film ein neues experimentelles Klanggewand auf den Leib geschneidert. Seit 20 Jahren ist Bartos fasziniert von dem wohl einflussreichsten Stummfilm aller Zeiten, der zahlreiche Spuren in der Welt der Popmusik hinterlassen hat. So gestaltete David Bowie seine „Diamond Dogs“-Tournee 1974 mit einem Bühnenbild als Hommage an den Film und sein letztes Video („Lazarus“) von 2015 ist als eigene Interpretation von Caligaris hypnotisiertem Somnambulen zu sehen. Künstler wie Robert Smith (The Cure), Klaus Nomi, Johnny Depp als „Edward mit den Scherenhänden“ oder Joacquin Phoenix‘ Joker erinnern in ihren Performances an den schlafwandelnden Darsteller Conrad Veidt.
Als „Sounddesign und erzählende Filmmusik“ charakterisiert Karl Bartos seine Neuvertonung des expressionistischen Stummfilmes. Er nähert sich zunächst über die Geräusche, die der Film selbst vorgibt – beispielsweise die Stimmen, das Rascheln der Blätter oder das Jahrmarkttreiben – um sich im nächsten Schritt mit der Frage auseinanderzusetzen, wie eine eigenständige Musikebene gestaltet sein könnte. Da die orchestrale Fassung der Originalmusik, komponiert von Giuseppe Becce, bis heute verschollen ist, gab es keinerlei Orientierung für Bartos. Er stellte sich dieser Herausforderung und kreierte eine ganz eigene, zeitgenössische Interpretation des Dr. Caligari.
Bei der Filmvorführung trifft die digital restaurierte 4K-Fassung der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung auf die Ebene der Klänge von Karl Bartos, die er auf der Bühne mit seinem Partner Mathias Black live und punktsynchron spielt und steuert.
Das Konzert bildet als Warm-Up den Auftakt für die Kulturtage der Städteregion Aachen, die in diesem Jahr vom 21. bis 30. Juni in Alsdorf stattfinden. Details dazu werden im Frühjahr vorgestellt. Tickets für das Konzert mit Karl Bartos sind ab dem 10. Januar für 15 Euro online erhältlich. red
10.2.
Karl Bartos:
„Das Cabinet des Dr. Caligari“
20 Uhr, Energeticon, Alsdorf
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