Von Dirk Tölke
Mit der Ausstellung „Ausbruch aus der Provinz“ wird nicht nur thematisiert, dass einer vermeintlich hinterwäldlerischen Enge entflohen wird, die ja andererseits Naturnähe, Ruhe und Entschleunigung bietet, sondern, dass die Provinz aus ihrem Klischee ausbricht, indem sie sich den zeitgenössischen und globalen Entwicklungen stellt. Das Internet hat Grenzen und Reservate ja bereits aufgelöst. Bleibt höchstens die Provinz im Kopf, thematisch zumindest bei diesen zwölf:
Nationen und Geschichte
Johanna Reich kleidet sich in ihrem Video „Flags“ in den Farben verschiedener Nationalflaggen, die sie nacheinander auf eine Wand malt, vor der ein Fernseher stellvertretend für die mediale Wahrnehmung flimmert. Nach Beendigung einer Flagge stellt sie sich auf den Fernseher und verschwindet dabei optisch im gemalten Farbhintergrund, wodurch die Identität mit einer Nation bildlich hinterfragt wird.
Im bewußt dilletantischen Stil eines Stummfilms inszeniert Felix Burgers Video „Train B“ eine imaginäre U-Bahnfahrt zwischen Wolfsschanze, Tschernobyl und Ground Zero als subjektive Geisterfahrt durch die Geschichte.
Farben und Kultur
Carolina Redondo thematisiert mit ihrer auf Industriegewebe projizierten Videoinstallation „Interferencia“ die Veränderung als zentrale kommunikative Kategorie. Im Video zerteilt sie mit einem Samuraischwert farbige Gewebebahnen in verschiedenen Raumtiefen, die so das Oberflächenbild verwandeln.
Alexandra Kuertz nutzt triviale Objekte einer Idyllensehnsucht (Frühstücksbrettchen, Einmachglasverschlüsse) als Schablonen für minimalistisch irreal inszenierte Zeichnungen, bei denen die sich überlagernden Aussenkonturen um ein Zentrum kreisen.
So wie die Zeichnung eine Form umreisst, ist die Alufolie, die Christine Molderickx benutzt, eine adäquate Form die Oberfläche eines Volumen abzubilden. Aus solchen Umhüllungsformen (Dachlatten, Krebse, Nikoläuse, Zeitungen …) stapelt sie ein Kultursediment in Form eines Bettes und schafft Banalem durch Bedeutsamkeit Aufmerksamkeit.
Töpfe und Nutella
Tobias Hantmann bockt umgedrehte Kochtöpfe in leichter Schwebe auf und bemalt sie in Metallfarben, so dass sowohl anderes Material suggeriert wird, wie auch der nachgemalte Lichtreflex auf dem Boden eingefroren wird und nicht mehr mitwandert. Fotos unterschiedlich arrangierter Sets von Töpfen verstärken die Wahrnehmungsirritation.
Thomas Rentmeister nutzte nach Polyester die Materialien Nutella und Hautcreme als Bildhauerpaste. Auch in seiner minimalistischen Mauer aus gestapelten Prinzenrollen nutzt er die Werbewirkung jugendbestimmender Markenprodukte, die sonst mit Kunst werben, für seine Kunst, die Objekte der Alltagskultur neu inszeniert.
Urbanität und Nacht
Daniela Georgieva collagiert Stimmungsbilder aus grafischen Zeichen mit Naturbezug und weitgehend geschädigten Zeitungsausschnitten städtischer Kultur, die als Streumuster arrangiert uneindeutig und geheimnisvoll wie die Erinnerung bleiben. Florian Beckers fotografiert nächtliche Stimmungsbilder voll flächigem Schwarz. Lichtkegel reduzieren den erzählerischen Keim auf grundsätzliche Atmosphärenwirkung.
Brigitte Dams Installation eines dauernden Veränderungsprozesses ist eine begehbare Zeichnung aus provisorisch arrangierten Bündeln und als Schichtung sichtbar bleibenden Bildern aus plastischen Linien (Feuerwehrschläuchen, Tape oder Rolladenband).
Provinz und Braunkohle
Petra Warrass dokumentiert provinzielle Wohnzimmer, die durch die künstliche Schwärzung der Fensterscheiben Kulissenqualität gewinnen. Identitätsfragen berührt auch eine Fotoserie zu Filmszenen, die Personen spannend fanden und nachspielten.
Johannes Twielemeier zeigt analoge Fotos seiner mehrjährigen Dokumentation des Braunkohlegebietes Garzweiler und der verlustträchtigen Relikte von 8000 Menschen und 13 Orten, die dafür zerstört wurden. Hier wird Provinz bald gänzlich neu entworfen.
bis 7.4.
Aufbruch aus der Provinz KuK der Städteregion Aachen, Monschau
Austr. 9, Monschau – Eintritt frei
Di-Fr. 14-17 Uhr, Sa+So 11-17 Uhr
Foto: Michael Vorbrüggen
WEITEREMPFEHLEN