Benjamin Fleigs neue Galerie Vorn und oben in Eupen zeigt nach zwei Sammelausstellungen seines Künstlerbestandes nun eine erste Einzelausstellung mit Lilith (Henriette van Gasteren, *1964), die mit ihren Selbstportrait-Serien internationale Bekanntheit gewonnen hat. Da trägt ein Metzger eine nackte Frau wie Fleisch über der Schulter aus dem Kühlhaus. Da kriecht die Künstlerin nackt eine Treppe nach oben, da liegt sie scheinbar mit Schweinekopf in kunstfertiger Festmahloptik auf dem Tisch…
Zunächst schleicht man etwas scheu und mit verdruckster Scham an den Bildern vorbei, denn sie zeigen viel entblößte Haut. Es sind delikate Werke in doppeltem Sinne. Sie sind im Sinne einer Delikatesse hervorragend ausgeleuchtet, farblich abgestimmt und mit all ihren Details inszeniert, zu denen auch die ausgeklügelte Haltung und Mimik der Künstlerin gehört, die mit Selbstauslösern arbeitet. In ihrer Bloßstellung von Körper und Intimität wecken sie aber voyeuristisches Interesse und gehen unter die Haut.
Kunst die nervös macht
Die Inszenierung verhindert eine erotische Wirkung und ein Stieren, aber sie spielt mit den entsprechenden Bildmustern, die Frauen als Ware herabwürdigen. Im Gegensatz zu den Selbstportraits von Cindy Sherman, die einer älteren Generation entstammt, haben sie aber keinen empörten oder kämpferisch provokativen Charakter, sondern sie überzeichnen subtiler, beziehen sich als Attitüdenkiller weniger auf Filmklischees, als auf bürgerliches Lebensumfeld und Werbung. Das macht sie so unangenehm, denn es geht hier nicht um die krassen Fälle von Unterdrückung und Demütigung wie in anderen Ländern, sondern um die tägliche eingespielte Drangsalierung und Rollenbildprägung, genereller um Verletzlichkeit, die sichtbar bleibt und die durch einige Fotos tiefschürfend offengelegt wird.
Da man sich selbst zum Schutz ein dickes Fell angelegt hat, möchte man nicht so gerne an diese Empfindlichkeit erinnert werden. Mit subversiver Brillianz machen einen die Fotografien von Lilith nervös. Sie gehen einen etwas an. Dabei spielt sie die Grundthematik Verletzlichkeit als Schelmenwahrheit in vielen leicht grotesken und humorvollen Situationen durch, die der Künstlerin viel Offenheit abverlangen, um die Situation empfindungsreich aufzuladen. Das funktioniert „Subject vs. Object“ – so der Titel – nur über das Ambiente, über die leicht angestaubten Wohnatmosphären, in denen Status, Eingespieltsein und Einsamkeit hausen, aber auch echte Lebensgeschichte mitschwingt. Die patinierte Intimität verkrusteter Nester, in denen Enge und Routine sich eingenistet haben. Die Wohninterieurs haben nach einem Zeitungsaufruf Privatleute der Künstlerin als Hintergrund zur freien Verfügung angeboten.
Die Bilder aus den Serien „a house is not a home“ und „domestic goddesses“ spielen mit Freizügigkeitssehnsüchten und Haushaltsführungserwartungen, indem sie Rollenbildmustern widersprechen. Diese Blickwunden verkörpern menschliche Verletzlichkeit im Selbstporträt, bei dem die Künstlerin so unvoreingenommen wahrhaftig und verletzend ehrlich sein kann, wie sie möchte, während Bilder anderer Personen von diesen als Beleidung und Bloßstellung begriffen werden könnten. So aber haben sie eine Eindringlichkeit, die den Alltag der Normalität enthebt.
Ein Alltag, der trotz eines seit 1949 bestehenden Gleichheitsgrundsatzes erst 1976 ein reformiertes Eherecht mit eigenem Konto und freier Berufswahl und bis heute keiner gleichen Bezahlung für gleiche Arbeit gebracht hat. Nicht zu vergleichen mit der weltweiten häuslichen Gewalt und Versklavung in patriarchalischen Gesellschaften, die ohne Ehrfurcht vor dem Leben Frauen benutzt, statt ihnen zu begegnen.
Dennoch seltsam, dass 51% der Weltbevölkerung immer noch ein Minderheitenimage haben. Wie kess und unverschämt, aber auch ganz nah am Thema man mit vergnüglich sinnlicher Irritation daran sägen kann, zeigen Liliths Fotografien. \ dito
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