Ein subjektiver Jahresrückblick in die Kunst-Welt der Euregio und auf ihre Betrachter.
Von Dirk Tölke
Viel geschieht inzwischen in der bildenden Kunst der Region. Im Einzugsgebiet von Hunderttausenden kann das ein Einzelner nicht mehr bewältigen. Aber darum geht es auch nicht und auch nicht nur um Touristen. Kultur lebt vom Überschuss und von der Vielfalt der Interessen. Wenige sieht man auf mehreren Eröffnungen. Es gibt ein Publikum für Architektur, Fotografie, alte Kunst, Street-Art und so weiter, es gibt Neugier, die über die Kunstvereinsgrenzen und Ortsbeziehungen nicht hinausentwickelt ist, aber das mag wachsen und ändert sich mit den betrachtenden Personen, die gegenüber den unveränderten Kunstwerken andere Resonanzen entwickeln werden, wenn sie reifen.
Immer noch liegt das studentische Interesse trotz Futurelab unnötig brach. Verstetigt haben sich viele meist jährlich stattfindenden Sammelereignisse, Kunstrouten, Märkte oder Benefizauktionen, die sich kannibalisieren würden, wenn es nur ums Kaufen und Bespaßen ginge. Noch gibt es einen Rest von Menschenbildung und Weiterentwicklungsinteresse, wenn auch sonst die Durchökonomisierung der Gesellschaft weiterschreitet mit zu viel egoistischer Betriebswirtschaft, zu wenig Volkswirtschaft, Gemeinsinn und Berücksichtigung der Wechselwirkungen sowie einer irritierend absurden Kunstpreisentwicklung im Hochpreissegment, die falsche Orientierungen und Suggestionen stiftet. Es gilt nicht nur auf Highlights und Events zu achten.
Die Mittel für das Grundpersonal zur Leistung eines ordentlichen Routinebetriebes sind am verschleißträchtigen Limit. Das Grundklima wird von all den vielen meist ehrenamtlich und unterbezahlten getragen, die die Kultur vor Ort beleben. Das Beiprogramm des Lufos bringt Leben und Diskussionskultur ins Haus, die Museumspädagogen und Stadtführer vermitteln sich einen Wolf, das Kunsthandwerk und lang versteckte Objekte des Suermondt-Museums sind durch Herzblutengagement wieder gesprächsanregend sichtbar geworden in der Wunderkammer. Das Centre nimmt zwischen Schmuggel und Fafnir Fahrt auf für die übliche Berg- und Talfahrt des Publikumsinteresses, das durchaus mal gefordert werden muss. Wer Innovationen, das Neue und lebenslange Bildung will, muss das Publikum aus seinen trägen Gewohnheiten aufschrecken und ab und zu etwas wagen, so wie die dieses Jahr verstorbene Galeristin Helene von der Milwe.
Kontinuen statt Events
Der Beharrlichkeit von Annely Kall im Kulturwerk, Prof. Fritz Rohde in Herzogenrath, Nina Mika-Helfmeier im Quasi-Fotografieheadquarter Monschau, dem Ehepaar Oedekoven mit der sich erweiterenden Weser-Göhl-Route und dem gerade 80 gewordenen Prof. Wolfgang Becker verdanken wir anregende Ausstellungen, dem Team um Ben Kaufmann im gerade 30 Jahre alt gewordenen NAK, den jungen Freunden des Ludwig-Forums, der Plattform Aachen, zehn Jahren Artikel 5-Lebendigkeit, Lothringairkraftakt und Artconnection-Engagement ist Belebung aus einer anderen Alterserfahrung geschuldet.
Es geht einiges. Outsider-Art gedeiht nun in Lebenshilfe, Alexianer und Blauem Ezel. In Montzen harrt immer noch die exzellente Sammlung von Dieter Schlusche mehr Besuchern. In der Galerie freitag 1830 hat sich eine Szene und ein Gesprächsort etabliert, im Atelier 21 entgrenzt Ice el Macedon die Kunst, die Galerie am Elisenbrunnen ist frischwärts unterwegs, die Galerien Artco Galerie, Nova und Schönen habe ich sträflich vernachlässigt und auch sonst sicher Vieles vergessen. Das Atelierhaus muss seinen Umpflanzungsprozess ebenso überstehen wie der Kunstwechsel, der das wirkungsvoll umgebaute Stadtbad erstbespielt hat. Der BBK sortiert sich neu. Times they are a’changing, um mit Bob Dylan zu sprechen, dessen Lyrics mit Lyrik gleichgezogen haben, um dieses Textgenre auch mal als Literatur nobel zu würdigen.
Fazitartiges
Von Bedeutung bleiben die persönlichen Entdeckungen und Affinitäten jedes einzelnen im Meer der Möglichkeiten, das sehr bald noch einmal heftig populismusgeprüft werden dürfte und hoffentlich den klassischen Kunstvorurteilen der 92?Prozent daran desinteressierten Bürger zugunsten einer offenen Gesellschaft standhält. Mal sehen ob neben völkisch auch entartet wieder hoffähig werden soll.
Privat-Meinung
Zum Staunen war u.a. in all dem Kunstgeschehen die Komplexität, mit der ein einzelner Künstler sich in die Befindlichkeit eines Zeitalters über ein erfundenes Lebenswerk hineinarbeiten kann, wie im Falle von Dirk Dietrich Hennig im Ikob.
Johanna Roderburg hat erstaunlich spezifisch auf die Örtlichkeit des experimentierfreudigen Raums für Kunst reagiert und keine gewöhnliche Ausstellungspräsenz geliefert. Das auch im Alterswerk jenseits der Fördergrenze von 35 immer wieder Überraschungen möglich sind, hat die Ausstellung von Hans-Dieter Ahlert in Herzogenrath gezeigt. \
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