Die Bücher der 35-jährigen Schweizerin Dorothee Elmiger sind innovative Werke im deutschsprachigen Literaturbetrieb. So hat auch ihre dritte Veröffentlichung „Aus der Zuckerfabrik“ Anteile von Roman und Essay, ist zugleich aber auch eine kaleidoskopartige Aneinanderreihung von persönlichen, oft traumhaften Reflexionen der Kindheit und ihrer Arbeit als Schriftstellerin. Dabei sind Elmigers essayistische Techniken keine Kritik an der klassischen Erzählform. Das große Thema des Buches ist die Erforschung des Zusammenspiels von Körper und Geld am Beispiel der Zuckerproduktion auf Haiti, verwoben mit der Kolonialgeschichte, ergo der Sklaverei. Hinzu kommen fein damit verwobene Themen wie Liebe, Religion oder Ökonomie.
35 Fränkli
Ein weiterer Erzählfaden beschäftigt sich mit einem Dokumentarfilm über einen Schweizer Lottokönig, den einfachen Arbeiter Werner Bruni, dem in den 80er Jahren sein Millionengewinn schnell wieder unter den Fingern zerfließt. Bürgerlichen Schweizer Rassismus dokumentiert sie nebenbei: Gefilmt wird eine Versteigerung zweier schwarzer Holzfiguren aus dem verbliebenen Besitz von Bruni: „…?35 Fränkli sind geboten. 35?Franken zum ersten, 35 zum zweiten und zum dritten Mal. Dann sind diese alten N . auch weg da.“
Erzählstruktur aus verschiedenen Genres
Auf einer Reise nach Montauk auf Long Island ist die Erzählerin wiederum auf den Spuren ihres Landsmannes Max Frisch („Montauk“), über den die Autorin tatsächlich im Max Frisch Archiv forschte. Elmiger nutzt Dokumentation, Reisebericht, Tagebuchnotizen, wissenschaftliche Abhandlungen aus Literatur, Geschichte und Fernsehen, bringt reelle Personen wie die Filmemacherin Chantal Akerman, den Tänzer Vaslav Nijinsky, Heinrich von Kleist oder Karl Marx ins Spiel. Dazu gesellen sich Psychiatriepatientinnen und Mystikerinnen, das Begehren und der Zusammenhang von gierigem Appetit auf Süßigkeiten und Erotik/Sexualität (S. Freud).
Mit dieser anregenden Verarbeitung einer immensen Fülle an Material auf 265 luftig von Abschnitten durchzogenen Seiten, ist Dorothee Elmiger der Schreibtechnik von Thomas Meinecke sehr nah. Auch Meinecke webt in seinen Romanen, unter anderem „Tomboy“, „Hellblau“ oder „Jungfrau“ ein Diskursnetz aus fiktiven Figuren und zeitgeschichtlichen Persönlichkeiten. Verblüffend, wie stringent hier beide Autoren der wiederkäuend erzählenden Form des Romans etwas entgegensetzen. Dorothee Elmigers „Aus der Zuckerfabrik“ wurde übrigens gerade zu Recht auf die Shortlist zum Deutschen Buchpreis gesetzt! \ rm
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