Vom 10. bis zum 19. Dezember sind eben diese „Schnittstellen“ zwischen klassischer, elektronischer und Popmusik im Musikbunker in sechs ambitionierten Konzerten erlebbar. Unter dem Motto „Klassik Project X“ soll dieses neue Format zusammen mit dem Partner „Eifel Musicale“ auch über seine jetzige Feuertaufe hinaus Bestand haben. Zur Premiere kommt auch der diesjährige Oscar-Preisträger Volker Bertelmann alias Hauschka.
Im Vorabgespräch zum gemeinsamen Projekt „Schnittstellen“ weiß Florian Koltun am meisten zu erzählen. Kein Wunder, ist er doch zusammen mit seiner Frau, der Pianistin Xin Wang, nicht nur Veranstalter einer Reihe von Veranstaltungen im klassischen Format wie den Musikfestivals „Eifel Musicale“ oder dem „Geilenkirchener Klaviersommer“. Als Musiker sind beide ebenso Preisträger zahlreicher internationaler Klavierwettbewerbe in Deutschland, Italien, Spanien, den Niederlanden und Luxemburg, schlossen sich häufig mit ausgezeichneten Musikern zusammen, um auf den großen Konzertbühnen in Europa und Asien zu spielen.
„Schnittstellen“ bündelt die (Agentur-)Kontakte der beiden Institutionen Musikbunker und der gemeinnützigen Konzertorganisation Koltun OG. „Wir bewegen uns in einem spannenden Experiment. Wir wissen nicht, worauf es hinlaufen wird, aber es ist es auf jeden Fall wert, diese Dinge mal auszuprobieren.“
Lars Templin, Geschäftsführer und Spiritus rector des Musikbunkers, besuchte vor längerer Zeit einen von Florian Koltun veranstalteten „Eifel Musicale“-Abend. „Ich hatte ihn nicht eingeladen und das war für mich schon so ein Impuls, aus dem Bauch heraus, wenn so etwas passiert. Da war ein offenes Ohr für etwas da. Und dieses offene Ohr ist eigentlich das Fundament, um etwas zu initiieren“, sagt Koltun.
Gesagt, getan. Eine erste Zusammenarbeit entstand beim diesjährigen Festival „Stadtglühen“ als Koltun einen „Meisterkurs“ mit zehn Studierenden aus ganz Europa in der Salvatorkirche leitete. Zwei Klavierabende sowie ein Orchestermeisterkurs führten zu drei ausverkauften Veranstaltungen mit über 600 Besuchern. Mit dabei: das Euregio Chamber Orchestra, dass bei den „Schnittstellen“ eine gewichtige Rolle spielen wird.
Spätestens seit der Corona-Pandemie hat sich im Kulturbereich so einiges verschoben. Und das eher zum schlechteren für die Kunst. Koltun sieht die Problematik für beide Seiten: „Die Pandemie hat auch gezeigt, dass wir neue Zielgruppen erschließen müssen. Man muss die Frage des konservativen Konzertbegriffs diskutieren. Ist das, was wir seit vielen Jahrzehnten immer gemacht haben, noch zeitgemäß? Das muss auch die Popmusik diskutieren. Muss Popmusik immer nur kommerziell sein oder ist Popmusik gleichwertig wie Klassik oder finden wir Schnittstellen, wo wir zusammenkommen können?“
Das Festival soll die Grenzen zwischen Klassik und Club, zwischen Jazz und elektronischer Musik, zwischen Pop und Experiment ausloten. Chris Kukulis vom Musikbunker erläutert die Herangehensweise: „Insbesondere für ein jüngeres Publikum wollen wir ein niedrigschwelliges Angebot schaffen. Durch den eher vertrauten Club als Ort des Geschehens wollen wir hier einen neuen Zugang zur „Hochkultur“ bieten und diesen erlebbar machen. Wir wollen zeigen, welche Möglichkeiten Musik heutzutage bietet und unser Publikum anregen, sich neuen Erfahrungen zu öffnen.“ Koltun ergänzt: Für uns ist die Kultur entscheidend. Nicht das Business. Wir haben sehr lange nach einem kompetenten Partner gesucht und mit dem Musikbunker haben wir hier einen Akteur aus der freien Szene, der in Aachen u.a. auch durch „Stadtglühen“ gezeigt hat, dass man ein großes Publikum ansprechen kann. Dass man die lokale Kulturszene mitnehmen kann und dass man mit dem Ort Musikbunker eine außergewöhnliche Location hat, die auch für uns konservative Klassik-Nerds spannend sein kann, das zu bespielen.“
Das findet zum Beispiel auch Floraleda Sacchi, eine hoch angesehene klassische Harfinistin, die selber in Mailand ein avantgardistisches Festival zwischen den Schnittstellen elektronischer Musik und Kunst organisiert. Alles hoch aufgehängt, denn unterstützt wird sie unter anderem von Foundations von Prada oder Louis Vuitton. Florian Koltun fragte sie an: „,Ich schicke dir mal ein Bild, wo du spielen wirst.‘ Ich habe ihr ein Foto vom Bunker geschickt, nicht von innen, sondern von außen. Sie schrieb sofort zurück: ,Ich bin dabei! Das sieht superspannend aus.‘“
Der Musikbunker als extravaganter Veranstaltungsort bewies sich bereits 2015. „Nach Stockhausen“, ein Projekt der StädteRegion Aachen, fand in Zusammenarbeit mit der Stockhausen-Stiftung statt. 2018 spielte eines der weltweit renommiertesten Streichquartette, das „Kronos Quartet“ aus San Francisco, im Musikbunker. Jazz-Größen wie John Scofield oder Bill Frisell finden mittlerweile den Weg in den Club tief unter der Erde im Frankenberger Viertel.
The Beatles, Mozart, Schostakowitsch bis „Vivaldi Recomposed“
Zwei „Schnittstellen“-Konzerte finden mit dem Euregio Chamber Orchestra statt. Es besteht aus aktuell noch Studierenden sowie Absolventen der Musikhochschule NRW sowie Orchestermusikern und arbeitet auf einem absolut professionellen Niveau. Als Kammerorchester wird es im Musikbunker mit 16 bis 18 Musikerinnen und Musikern besetzt sein, auf größeren Bühnen ist es bis zu 36 Personen stark. Es begleitet den Pianisten Lorenzo Di Bella und das Programm kombiniert unter dem Motto „Krieg und Frieden“ Werke von Dmitri Schostakowitsch, Edvard Grieg und W.A. Mozart, während der Violinist und „Echo“-Preisträger 2017, Yury Revich, eine neue Zusammenstellung der berühmten „Vier Jahreszeiten“ gemeinsam mit dem Orchester vornimmt. Max Richters Version „Vivaldi Recomposed“ trifft auf Astor Piazollas Tango Nuevo-Version der „Vier Jahreszeiten“. Koltun erklärt diese Kombination: „Max Richter steht für Neue Musik und Yury Revich ist ebenfalls Komponist. Die „Vier Jahreszeiten“ von Vivaldi sind eigentlich das Standardwerk, was schon jede Schule thematisiert. Wir werden dieses Werk kreuzen, normalerweise kombiniert man das mit dem Original, aber wir wollten eine andere „Jahreszeit“ haben und so wird es mit Piazollas Werk zur Aufführung gebracht.“
Zweifelsohne ist Volker Bertelmann der zugkräftigste Act des Festivals. Er hat für seine Filmmusik von „Im Westen nichts Neues“ in diesem Jahr nicht nur einen Oscar, sondern auch einen BAFTA (British Academy Film Award) sowie den Deutschen Filmpreis bekommen. Unter dem Künstlernamen Hauschka ist er seit 20 Jahren als Komponist und Pianist aktiv, dekonstruierte Minimal Techno mit Piano. Seine präparierten Klavierstücke gehören zum Genre der Neoklassik, ein stilistisches Umfeld, in dem auch Nils Frahm, Olafur Arnalds oder Martin Kohlstedt aktiv sind. Hauschka stellt sein neues Album „Philanthropy“ im Rahmen des Festivals vor. (Von Richard Mariaux)
Die Termine
10.12., 19 Uhr
Floraleda Sacchi (Harfe). Harfe meets Electronic. Werke von J.S. Bach, R. Sakamoto, N. Frahm, E. Satie, O. Arnalds u.a.
13.12., 20 Uhr
Sparks. Von Bach bis Beatles. Neue Musik und klassische Werke in Neuinterpretationen.
16.12., 20 Uhr
Euregio Chamber Orchestra /Lorenzo Di Bella (Klavier). „Krieg und Frieden“. Werke von W.A. Mozart, S. Barber, D. Schostakowitsch, E. Grieg
17.12., 19 Uhr
Hauschka. Oscar-prämierter Pianist spielt Neoklassik.
18.12., 20 Uhr
Lubomyr Melnyk (Klavier). Avantgarde Piano – „Continuous Music“
19.12., 20 Uhr
Euregio Chamber Orchestra / Yury Revich (Violine). Max Richter: Vivaldi Recomposed. The Four Seasons. Werke von M. Richter und A. Piazolla.
Die Tickets kosten im Einheitspreis 20 Euro zzgl. VVK-Gebühr. Tickets für das Konzert von Hauschka kosten 30 Euro. Angeboten wird auch ein Festivalticket für alle sechs Veranstaltungen für 95 Euro. Das angebotene Sozialticket des Musikbunkers hat ebenfalls Gültigkeit.
WEITEREMPFEHLEN