Niemals habe er zu Beginn seiner Tätigkeit als Intendant am Theater Aachen gedacht, dass er das Amt 18 Jahre lang innehaben würde. Erstens: So lange bleibe man als Intendant gewöhnlich nicht an einem Theater. Zweitens: Gleich zu Anfang wurde er mit starken Einsparungen am Theater Aachen konfrontiert. Und sparen ist nie schön – auch nicht am Theater.
Warum er seinen Vertrag so oft verlängert hat, erklärt sich im Rückblick: Oft war ein angefangenes Projekt einfach noch nicht abgeschlossen. Zum Beispiel der Umbau des Hauses, was ihn in den ersten Jahren viel Kraft, Nerven und Diplomatie gekostet hat. Aber hauptsächlich ist Michael Schmitz-Aufterbeck wohl so lange geblieben, weil es am Theater Aachen immer eine gute Atmosphäre gab, alle Mitarbeitenden mit großer Motivation, auf allen Ebenen dabei gewesen seien und es in jeglicher Hinsicht ein offenes Haus gewesen sei. „Ich hatte und habe auch jetzt das Gefühl, hier fühlen sich die Leute wohl. Und alle, die mich kennen, wissen, dass zu meinem Arbeitsalltag eine offene Tür, ein guter Humor und arbeiten auf Augenhöhe wichtig sind“, sagt Schmitz-Aufterbeck ohne sich damit selbst loben zu wollen.
Das nimmt man ihm ab. Er ist auch in unserem Gespräch eher darauf bedacht, nette Worte für die ihn Begleitenden zu finden, als seine Arbeit in den Vordergrund zu stellen. Immer wieder nennt er die Namen der Menschen, die ihm in den vergangenen Jahren zur Seite gestanden haben, scheut sich auch nicht zuzugeben, dass es auch mal schwierige Zeiten gab – zum Beispiel als eine Prüfung der Theater-Strukturkommission anstand oder mal wieder die Idee, den Theaterplatz schöner zu gestalten, abgelehnt wurde. „Der Alltag im Theater ist nicht immer nur schön“, kann er einräumen. Trotzdem werden ihm die Menschen und der Arbeitsalltag fehlen. „Von den Menschen im Büro, über das Ensemble bis zu den Mitarbeitern der Werkstatt, ich bin gerne überall mal vorbeigegangen, habe die künstlerische und organisatorische Arbeit geschätzt.“
Was wird den Aachenern von der Ära Schmitz-Aufterbeck in Erinnerung bleiben? „Hoffentlich ein vielfältiges Theaterangebot mit einer guten Mischung bei der Stück-Auswahl und -Ästhetik.“ Und: „Ich hoffe, dass alle Theatergänger immer das Gefühl gehabt haben, dass sie gemeint waren.“ Klingt irritierend, doch der Intendant löst auf: „Man kann und soll es gar nicht immer allen zu jeder Zeit rechtmachen, aber es ist wichtig, Theater für Menschen in der jeweiligen Stadt zu machen, und das habe ich jederzeit versucht.“ Natürlich, wie sollte es anders sein, kommt auch hier der Einschub: „Mit einem ganz besonders guten Team.“
Traurig scheint Schmitz-Aufterbeck nicht zu sein, dass seine Zeit als Intendant jetzt abgelaufen ist. Eher wehmütig. Als fühle er sich verantwortlich für alles – von den Bühnenbrettern bis zur Beleuchtung. Denn er weiß, es kommen neue Anforderungen auf das Theater zu. „An vielen Theatern knallt es gerade“, sagt er. Sei es aufgrund der finanziellen Lage, der Anforderungen in Richtung eines neuen Publikums oder der Ansprüche an die Diversität. Auch wenn er einige finanzielle Einstriche in Kauf nehmen musste, hält er fest: „Ich habe in den vergangenen Jahren doch immer Glück gehabt.“ Darauf folgt gleich schon wieder die Einbeziehung aller anderen: „Meine Autorität musste ich nur selten fordern!“ Schmitz-Aufterbeck lässt es banal klingen: „Ich habe nie gerne den Chef gespielt.“
Bevor er an das Theater Aachen kam, hatte dieses mehrere Intendantenwechsel in kurzer Folge miterlebt. Einige seiner Vorgänger haben in seinen Augen sowohl gute als auch weniger gute Entscheidungen getroffen, sie haben polarisiert und teils Richtungswechsel angestoßen, von denen das Theater Aachen sich noch immer nicht erholt hat. Aber es liegt Schmitz-Aufterbeck nicht zu klagen. Stattdessen versuchte er mit Kontinuität das Beste daraus zu machen.
Das hat er mit spartenübergreifenden Inszenierungen auch künstlerisch bewiesen. Hier nennt er Stücke wie wie „Fairy Queen“, „Terror.Revolte.Glück“, “Der eingebildete Kranke“, die Musicals „West Side Story“ „Fiddler on the Roof“, „Sweeny Todd“ oder „La Voix Humaine“.
Alle Stücke – und noch viele weitere – haben die unterschiedlichen Sparten am Theater geeint. Sänger haben gespielt, Schauspieler gesungen – nebeneinander, gleichwertig. Orchester und Musiker wurden eingebunden, waren nicht mehr nur in ihren Sparten unterwegs, auch das Leitungsteam am Theater hat nicht mehr nur in einer Dimension gedacht.
„Rückblickend kann ich sagen, dass es schon besonderen Spaß gemacht hat, für unser Team genau solche Leute zu finden, die auch für andere Arbeitsbereiche offen sind.“ Gemeint ist damit nicht nur, dass ein Schauspieler singen kann oder eine Sängerin spielt, sondern dass alle sich in den anderen Sparten mit ihren Fähigkeiten einbringen können.“
Als er vor 18 Jahren sein Büro bezogen hat, das er vorher nach seinen Vorstellungen einrichten und streichen ließ (und das sich seitdem nicht verändert hat), hängte er als Erstes zwei Bilder auf. Eines davon ist eine Zeichnung von Alberto Giacometti „Der Schreitende“. Auch in unserem Gespräch ist er noch immer begeistert von der Bewegung, die von der Skizze ausgeht. Ein straffer Gang, immer nach vorne gerichtet, zielstrebig, nicht überheblich.
Das zweite Bild, das auf den ersten Blick eigentlich gar nicht recht in den Raum passt, ist eine bunte, kindliche Collage. „Von meinen Töchtern. Die waren damals noch klein.“ Diese beiden Bilder wird er vermutlich auch als Letztes abhängen, wenn er sein Büro und seinen Platz als Intendant für seine Nachfolgerin räumt. Dann geht eine Ära am Aachener Theater zu Ende. Aber es beginnt etwas Neues. Auch darauf freut sich Schmitz-Aufterbeck: „Es muss immer weitergehen“, sagt er.
Dem Theater fernbleiben wird er nicht. Den Schutz, die ihm seine Loge im Theater geboten hat, braucht er in Zukunft nicht mehr. Ab der neuen Spielzeit ist Schmitz-Aufterbeck im Theater ein ganz normaler Zuschauer. „Ich wünsche dem Theater Aachen und allen Mitarbeitenden einen guten Weg in eine positive Zukunft“, sagt er. Diejenigen, die ihn begleitet haben, werden wohl sagen: „Danke für 18 Jahre!“ (Kira Wirtz)
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